Strategische Autonomie der EU

In der Zeitung für Deutschland, manche nennen sie auch die Zeitung für den ordnungspolitischen Schrebergarten, findet man gelegentlich auch kluge, unideologische Gedanken:

„Wirtschaftspolitik ist eher eine deutsche Domäne als das Militärische, wo Berlin eine ‚Kultur der Zurückhaltung‘ pflegt. Doch auch in Ausbau der EU zu einer wirtschaftlichen Führungsmacht konfrontiert Berlin mit Zielkonflikten. So könnte der Euro vom zunehmenden Verdruss über die Vormacht des Dollars profitieren, welche die Amerikaner mit ihrer Sanktionspolitik immer aggressiver ausnutzen. Allerdings sind die Zweifel an der Stabilität des Euros seit der Schuldenkrise nie verschwunden. Aus Sicht vieler Investoren liegt das nicht zuletzt an Deutschland und dessen Ablehnung gemeinsamer Anleihen oder einer echten Bankenunion. Und selbst wenn es gelänge, den Euro stärker als globales Zahlungsmittel und Reservewährung zu etablieren, so würde er wohl kräftig aufwerten – und dadurch die deutsche Exportwirtschaft dämpfen.“

Andreas Ross, Fragen des Schicksals. Deutschland muss für strategische Autonomie der EU werben – und heikle Entscheidungen fällen. In: FAZ, 6. Februar 2019.

 

 

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Aus immer wiederkehrendem Anlass: Der Artikel 125 (Haftungsausschluss

Je mehr über die so genannte Euro-Krise geschrieben wird, desto mehr verbreitet sich der neoliberale Unfug darüber. Schon im Zentrum und Ausgangspunkt wissenschaftlichen Arbeitens, der Quelleninterpretation, ist der Unfug anzutreffen. Schon sehr früh, im Jahr 2010, tauchte im Zusammenhang der Griechenland betreffenden „Rettungspolitik“ die Frage auf, ob die europäischen Verträge dies erlaubten. Der Artikel 125 des AEUV rückte ins Visier. Dort heißt es:

„Die Union haftet nicht für Verbindlichkeiten der Zentralregierungen, der regionalen oder lokalen Gebietskörperschaften oder anderen öffentlich-rechtlichen Körperschaften, sonstiger Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder öffentlicher Unternehmen von Mitgliedstaaten und tritt nicht für derartige Verbindlichkeiten ein…“

 

Eigentlich lässt der Satz keine Hermeneutik zu. Er sagt aus: Wenn der Staat A aus der Staatengruppe B Insolvenz anmeldet, kommen B und C nicht für Verbindlichkeiten des Staates A (Staatsschulden) bei Besitzern von Schuldscheinen auf. B und C können sich also nicht auf A berufen, weil sie nicht haften.

Die neoliberale Ideologiemaschine in Deutschland hat daraus gemacht: Der Vertrag spricht ein Verbot für Hilfe – in diesem Falle für Griechenland – aus. Das steht definitiv nicht in dem Artikel, nicht einmal annähernd oder dem Sinne nach. Es handelt sich um eine die Kreditgeber betreffende Aussage. Trotzdem findet sich die Behauptung von dem seitens des Vertrags ausgesprochenen Verbots in zahllosen (neoliberalen) Publikationen.

Zu dem Thema gab es schon 2010 ein Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages:

https://www.bundestag.de/blob/407314/6ffb62a01ca31240bc1a3a66f56d92ed/wd-3-143-10-pdf-data.pdf

 

Zur antieuropäischen und antiitalienischen Stimmungsmache in der „Zeitung für Deutschland“. Der Qualitätsjournalismus schreckt auch vor Erfindungen nicht zurück

Der Sprecher des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM), Wolfgang Proissl, sieht sich genötigt, in einem Leserbrief Donnerstag, 4. Oktober 2018, Seite 9) italien- und europafeindliche Erfindungen aus der Wirtschaftsredaktion der FAZ zu dementieren:

„Zu den Berichten ‚Defizite in Rom‘ (F.A.Z. vom 29. September) und ‚Lega-Chef Salvini: Europa ist mir völlig egal‘ (F.A.Z. vom 1. Oktober): In einem Bericht über die Haushaltspläne der italienischen Regierung heißt es in der Samstagsausgabe, dass ‚Europa im Saatenrettungsfonds ESM Garantien für Italiens Staatsschulden übernahm‘. Diese Behauptung wird in einem weiteren Bericht am Montag wiederholt. Die Aussage, der ESM habe Garantien für Italiens Staatsschulden übernommen, ist falsch. Italien hat nie den Zugang zu den internationalen Finanzmärkten verloren. Deshalb hatte Italien nie ein Rettungsprogramm mit dem ESM oder seiner befristeten Vorläuferinstitution EFSF. Der ESM hat aus diesem Grund weder Garantien für Italiens Staatsschulden übernommen noch Italien Notkredite gewährt.

Der ESM und der EFSF haben bislang Rettungsdarlehen an fünf Eurostaaten vergeben: Irland, Portugal, Griechenland, Spanien und Zypern. Die Darlehen sind grundsätzlich immer an strenge Reformauflagen gekoppelt. Da der ESM zur Finanzierung seiner Notkredite Anleihen begibt, fließen bei den Rettungsprogrammen keine Steuermittel und es kommt zu keinen Transfers. Dabei garantiert auch Italien, wie Deutschland und alle Euro-Mitgliedstaaten, durch eingezahltes und abrufbares Kapital die ESM-Anleihen.“

Die Richtigstellung versteckt die FAZ in der Leserbriefspalte.

 

 

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Didier Eribon zu Migranten, Grenzen und Wagenknecht (Interview in der FASZ, 30. September 2018

Didier Eribon zu Migranten, Grenzen und Wagenknecht
(Interview in der FASZ, 30. September 2018

„Warum richtet sich dieser Aufstand gegen Migranten und Ausländer statt gegen die Oberschichten?

Weil die linken Parteien, statt dem rechten Diskurs gegen Migranten zu widersprechen, mit diesem Diskurs zu spielen versuchen. Sie stimmen zu, dass Zuwanderung ein Problem ist, nur wollen sie es anders lösen. Ich bin sicher, dass die Demonstranten in Chemnitz nicht alle Neonazis waren. Aber indem die demokratischen Parteien die Ängste dieser Leute bestätigen, spielen sie den Rechten in die Hände. Sahra Wagenknecht ist mitverantwortlich für das, was in Chemnitz geschehen ist, weil sie die sogenannte Migrantenproblematik zum Bestandteil der linken Agenda gemacht hat. Sie ermuntert die Rechten, ihre eigene Agenda noch radikaler zu formulieren. Wagenknechts Aussage, sie sei gegen das Konzept offener Grenzen, ist sinnlos, denn die Leute kommen ja nicht hierher, weil es keine Grenzen gibt, sondern weil sie keine andere Wahl haben. Aber der Satz suggeriert, dass man mit ihr auch über Grenzzäune, Hunde und Internierungslager reden kann.“

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Robert Menasse und Ulrike Guerrot rufen im November 2018 die Europäische Republik aus

In einem Interview mit der FAZ (22. August 2018) kündigt Robert Menasse an:

„Wir (er selbst und Ulrike Guerrot, d.Verf.) werden im kommenden November die Europäische Republik ausrufen. Es ist höchste Zeit, diesen Schritt weiter zu gehen: zu einer gesamteuropäischen Staatlichkeit, die endlich den ersten Satz der allgemeinen Menschenrechtserklärung von 1789 verwirklicht: Alle Menschen sind frei und gleich in ihren Rechten geboren. Dieses Versprechen ist noch immer nicht eingelöst, nicht zuletzt, weil die nationalen Pragmatiker die Umsetzung für unmöglich halten. Aber es ist unerträglich, dass in Europa die Menschen verschiedener Länder verschieden guten Zugang zu Sozialleistungen und zu Bildung haben, verschieden gut im Alter abgesichert sind, verschieden hohe Steuern zahlen. Es ist unerträglich, dass die Stimmen der Menschen in Europa, je nach Mitgliedstaat mehr oder weniger Gewicht in Hinblick auf die Entscheidungen haben, die in der Union getroffen werden. Aber sie alle dürfen sich europäische Bürger und Bürgerinnen nennen. Das ist grotesk. Und es ist unerträglich, dass die Krisen des nachnationalen Europas von jenen gemanagt werden und nie gelöst werden können, die diese Krisen durch nationalen Eigensinn unentwegt heraufbeschwören und wieder einmal zu Schlafwandlern werden.“

 

 

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Die wirtschaftspolitischen Empfehlungen der Kommission für Deutschland im Rahmen des Europäischen Semesters 2018

„Deutschland verzeichnet einen
anhaltend hohen
Leistungsbilanzüberschuss, der
2016 geringfügig auf 8,2 % des
BIP zurückgegangen und in dem
im November 2017 endenden
Jahr auf 7,8 % gesunken ist. Die
alljährlich registrierten
Überschüsse haben zu einem
stark positiven
Nettoauslandsvermögensstatus
geführt, der 2016 55,1 % des BIP
erreichte…“

Weiter hier:

Länderbericht Deutschland 2018 Europäische Kommission

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BDI für Vertiefung der Wirtschafts- und Währungsunion

In seinem stark an Macrons Vorschläge angelehnten Positionspapier „Eine starke und souveräne EU. Für eine neue Rolle Europas in der Welt“ listet der BDI neben Vorschlägen für andere Politikfelder folgende acht Vorschläge für eine Reform der Eurozone auf:

  1. Ein fiskalisches Stabilisierungsinstrument in Höhe von 1-2 Prozent des EU-BIPs. Nimmt man 2 Prozent, wären das für 2017 immerhin ein Volumen von rund 300 Milliarden EUR.
  2. Ein Reformumsetzungsinstrument mit einem Programmrahmen von 22 Milliarden EUR über sieben Jahre.
  3. Die Weiterentwicklung des ESM zu einem Europäischen Währungsfonds (EWF).
  4. Einen Einheitlichen Abwicklungsfonds für Banken im Rahmen der Bankenunion.
  5. Die Einheitliche Einlagensicherung im Rahmen der Bankenunion.
  6. Fortschritt bei der Unternehmensbesteuerung, dem Insolvenzrecht und die Schaffung eines sicheren europäischen Wertpapiers (Sovereign-Bond Backed Securities = eine Art Eurobonds).
  7. Eine Verbesserung der Economic Governance auf verschiedenen Gebieten.
  8. Überführung des Fiskalvertrags in die Verträge.

Das 42-seitige Papier findet man hier:

https://bdi.eu/media/publikationen/?publicationtype=Positionen#/publikation/news/eine-starke-und-souveraene-eu/

 

Die Machtverteilung in der Eurozone

Hierzulande wird bei der Kritik an der Austeritätspolitik in der Eurozone häufig vergessen, dass Deutschland nur der sichtbare Teil eines Eisblocks ist, der tatsächlich um ein Erhebliches größer ist. Die Gesamtformation der Austerität wird schon etwas besser erfasst, wenn man von dem Norden und dem Süden in der Eurozone spricht. Wird die Sache so formuliert, steht man plötzlich vor dem Problem, wo denn der Westen – also in erster Linie Frankreich – einzuordnen ist.

In der Tat bietet es sich an, von drei Blöcken auszugehen. Die folgende Übersicht nimmt eine so geartete Einteilung nach der Kapitalzeichnung im ESM, die wiederum der Zeichnung des EZB-Kapitals folgt, vor. Der Einfachheit halber werden die Bezeichnungen Norden und Süden beibehalten, weil sich dies weitgehend mit der Geographie deckt. Die dritte Position wird „mittlere Position“ genannt, weil sie nicht eindeutig einem wirtschaftspolitischen Dogma folgt.

Screenshot (10)

 

 

 

 

 

Die Machtverteilung in der Eurozone

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Zur Epistemologie des Populismusbegriffs. Was man weiß, was man wissen sollte

  1. Demokratie = Populismus oder: Populismus = Demokratie
    Populistische Parteien sind demokratische Parteien, die sich in Wahlen um die Gunst des Volkes bemühen. Nicht nur so gesehen, sondern ganz allgemein sind Populismus und Demokratismus Synonyme. Demokratische Parteien können gar nicht anders als populistisch sein, da sie allesamt die Vorstellung haben, dass ihr politisches Angebot dem Volk am besten bekommt. Demokratische Parteien halten sich grundsätzlich für mehrheitsfähig. Demokratische Parteien, die unpopuläre Maßnahmen predigen, sind Sekten.
  2. Die Politologen haben’s erfunden
    Vor diesem Hintergrund wird schlagartig klar, dass der Begriff „Populismus“ nur eine Erfindung von Politikwissenschaftlern sein kann, um im Multiplikatorverfahren für mehr Stellen an den Hochschulen zu sorgen. Mittlerweile ist das Ziel auch erreicht: Es gibt eine ganze Reihe von Populismus-Lehrstühlen, einschlägige Experten und Bücher dazu inbegriffen.
  3. Der Spießgeselle
    Wahrscheinlich hat der politische Mainstream irgendein Center for Political Science – oder war es doch ein Policy Centre? – beauftragt, den Begriff „Populismus“ zu erfinden, aufzublasen und in Form von vielen Luftballons um die Welt zu schicken. Alles ist ganz wundersam gelungen. Bleibt die Frage, warum erging der Auftrag. Um sich die lästige Konkurrenz vom Hals zu schaffen? Die Konkurrenz, die auch einmal etwas ganz anderes will? Jedenfalls gab es da noch einen willfährigen Spießgesellen, den Journalismus, insbesondere jenen deutscher Ausprägung. Dieser Journalismus hat für die geradezu inflationäre Verbreitung des Begriffs gesorgt, a) weil er ohnehin denkt, besser Politik betreiben zu können als die Politiker und b) weil er sich die Arbeit erleichtern wollte (vgl. die Produktivität des Begriffs, s.u.).
  4. Der Kampfbegriff
    Reale politische Parteien haben all das sorgsam beobachtet und für eine eigene Verwendung des Begriffs Populismus gesorgt. Populismus wurde ihnen zum Kampfbegriff für unliebsame Forderungen der jeweils anderen Parteien. Insofern neigt der Begriff zum Universellen. Er ist ein Universalbegriff. Tendenziell alle politischen Forderungen sind populistische Forderungen, da immer jeder gegen jeden oder jedes irgendetwas zu meckern oder einzuwenden hat. Ehedem, als es das Attribut „populistisch“ noch nicht gab, nannte man politische Forderungen, die heute dafür in Frage kämen, utopisch, unbezahlbar oder realitätsfern. Nebenbei: diese Attribute waren alle präziser als „populistisch“.
  5. Die Verkreisung des Quadrats
  6. Der Nachweis, dass eine bestimmte politische Forderung populistisch ist, lässt sich ernsthaft nicht führen. Viele renommierte Wissenschaftler haben sich daran versucht, es ist schier unmöglich. Der Ausstieg aus der Kernenergie, beispielsweise, galt über Jahrzehnte hinweg als utopisch, unbezahlbar oder realitätsfern. Vielleicht auch in anderer Reihenfolge. 2011 fiel die Entscheidung zum Ausstieg innerhalb weniger Stunden, sozusagen über Nacht, vielleicht sogar innerhalb von Minuten. Man weiß es nicht. Das Beispiel ist vielleicht ungeeignet, da es damals den Begriff „Populismus“ noch nicht gab. Hätte es den Begriff schon gegeben, vielleicht wäre dann der Ausstieg nicht gekommen. Wie dem auch sei. „Populistisch“ ist im Kern denunziatorisch gedacht. Wer solche Forderungen wie den Ausstieg aus der Kernenergie aufstellt, hat nicht nachgedacht und/oder ist dumm. Wer will das im politischen Wettstreit schon sein?
  7. Die Produktivität
    Wer das Wort „populistisch“ rüstig und flüssig aussprechen kann, hat den politischen Wettstreit eigentlich schon gewonnen. Er muss nicht weiter nachdenken, kann sich die Analyse sparen, das Publikum muss auch nicht weiter nachdenken, kann sich die Analyse sparen. Insofern hat die Entdeckung des Begriffs für eine große politische Produktivität gesorgt. Die politischen Debatten werden kürzer und man hat mehr Zeit für anderes, z.B. das Unpolitische oder Talkshows.
  8. Das Chamäleon
    „Populismus“ ist nicht nur ein Wort ohne Inhalt, nein, das Wort ist auch und sogar ein Chamäleon. Was in dem einen Land „populistisch“ ist, ist in dem anderen „volksnah“; im Summton der politischen Kaste hört sich das an wie „Wir haben verstanden“. Jedenfalls besteht zwischen Bezeichnetem und Zeichen, um es semiotisch auszudrücken, kein fester oder ein anderer Zusammenhang. Das Zeichen – „Populismus“ – kann sich der Tendenz nach an alle politischen Inhalte heften, je nachdem, wie die politische Großwetterlage gerade zusammengesetzt ist und/oder auf welchem Kontinent oder in welchem Land man sich gerade aufhält. In Finnland kann das Garantierte Grundeinkommen im Feldversuch getestet werden, die Schweiz kann es zur Volksabstimmung stellen, der Bürgermeister von Berlin erhält Beifall, wenn er gedankenschwer darüber sinnieren will – wenn die Cinque Stelle es für Süditalien einführen wollen, ist es – Überraschung – populistisch. Kann eine per Plebiszit angenommene Forderung noch populistisch sein?
  9. Der Patenbegriff
    Der Patenbegriff von Populismus ist der Elitarismus, gleichfalls ein politologischer Marshmallow-Begriff. So wie demokratische Politik schon immer – ob subjektiv oder objektiv – auf das Volk ausgerichtet ist, so war es schon immer eine Elite – früher oder leninistisch: Avantgarde –, die Politik gemacht hat. Die Elite und die Populisten lösen sich mit der Zeit aus dem politischen Diskurs und finden irgendwann als Paten zueinander zurück, werden zu Gegnern und Antipoden. Die einen machen Politik gegen die anderen, die anderen verachten die einen. Fragt sich nur, warum den einen Begriff das Odium des Kosmopolitischen umweht und der andere (provinzielle) Brechreize verursacht oder verursachen soll.
  10. Die Fertilität
    Der Begriff „Populismus“ ist auch außerordentlich – man hat es vermutet – fertil, denn er ist anschlussfähig. Kaum, dass er geboren war, der Begriff, hatte er auch schon Partner gefunden. Die Differenzierung schritt nämlich voran, Ausweis des Wissenschaftlichen, und der Rechtspopulismus und der Linkspopulismus kamen auf die Welt. Woher nur? Erklärt wurde von sinisteren Geistern der Ironie damit, warum die eigentlich unversöhnlichen Antagonisten, Linke und Rechte, plötzlich Koalitionen eingehen konnten (Griechenland) oder wollten (Italien) oder müssen (Spanien). Aber wiederum warfen sich Fragen auf: a) Was ist der Unterschied zwischen einer normalrechten Position und einer rechtspopulistischen Position? Ist das eine degoutanter als das andere? b) Wann würden sich liberalpopulistische, konservativpopulistische und sozialpopulistische Parteien und Strömungen gründen? Möglicherweise auch grünpopulistische, europapopulistische oder sogar demokratischpopulistische? c) Können Populisten mit Demokraten Koalitionen eingehen? Verlieren Populisten ihre Unschuld, wenn sie mit Demokraten koalieren, und wenn ja, wie geht das? Und was ist, wenn Populisten mit Populisten koalieren (Italien), exponiert sich dann die Inzucht?
  11. Das Patentamt
    Wer ist die Instanz, gleichsam das Patentamt, die bzw. das entscheidet, was eine populistische und was eine rationale politische Forderung ist. Wer in diesem Augenblick an das Bundesverfassungsgericht denkt, ist auf der falschen Spur. Auch das Deutsche Patent- und Markenamt (DPMA) mit Sitz in München ist nicht zuständig. Die richtige Spur führt zurück. Wohin? Zur Politologie und zum Journalismus oder auch zu den Hohepriestern des deutschen Ordo- und Neoliberalismus. Woraus sich weitere Fragen ergeben: Kann und darf es populistische Wissenschaftler geben, also Wissenschaft für das Volk? Oder sind Wissenschaft und Populismus eine contradictio in adjecto? Oder auch: Wenn der Bannspruch „Populismus“ einmal gefallen ist, kann er auch rückgängig gemacht werden? Wenn die Forderung nach dem Ausstieg aus der Atomenergie vormals als „populistisch“ diagnostiziert wurde, ist sie das heute nicht mehr?
  12. Der Unterschied zwischen Rechtspopulismus und Linkspopulismus
    Was macht die Kritik am Begriff „Populismus“ so pikant? Es ist der so genannte Rechtspopulismus, der political correct eigentlich Nationalismus bzw. Rechtsradikalismus bzw. Rassismus zu nennen wäre. Diese Sorte von Politik und Politikern wird unerträglich verharmlost mit dem Begriff. Ganz anders liegen die Dinge auf der anderen Seite des Spektrums. Linkspopulismus bedeutet, an den sakralen Modellen und Mustern des Neoliberalismus zu rütteln, aktuell gerade an der Frage der Finanzierbarkeit alternativer Politik in Europa. Was ist schlimmer – die Verharmlosung in dem einen Fall oder die Immunisierung in dem anderen Fall?
  13. Die Zukunft
    Fazit: wer den Begriff des Populismus als sinnstiftende Einheit in seinem politischen Vokabular abgespeichert und weiter in den Verwendungsapparat delegiert hat, hat die politische Analyse schon aufgegeben. Er weiß es nur noch nicht. Das liegt unter anderem daran, dass der Begriff des Populismus über die alten Lager hinweg ein kuscheliges Heimatgefühl vermittelt. Man kann sich einig fühlen gegen eine widerwärtige Welt der politischen Orks, egal woher sie stürmen. Dabei gäbe es noch so viele Fragen zu klären, z.B.: Was ist, wenn die Populisten die Macht übernehmen, also mehrheitlich gewählt werden? Ist dann das Volk an der Macht? Gibt es das überhaupt, regierende Populisten? Was machen die Populisten dann mit ihren Feinden, der Elite? Oder was machen die Populisten mit den vielen Populismusforschern? Können die Populisten den Begriff wieder aus der Welt schaffen? Genug der Fragen, sie sollen von den Experten, den Populismusforschern, geklärt werden, ihretwegen ist schließlich auch der Begriff in das politische Hier und Jetzt getreten.

 

 

 

Zur Epistemologie des Populismusbegriffs. Was man weiß, was man wissen sollte

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Wer ist der Hauptgegner? Der Neoliberalismus oder der Rechtspopulismus?

Dazu der ehemalige Außenminister Joschka Fischer in seinem jüngsten Buch („Der Abstieg des Westens“) in einer Fußnote, zunächst einen sozialdemokratischen Theoretiker zitierend:

„‘Die SPD muss dafür zum Angriff auf den neoliberal geprägten Kapitalismus blasen. Nicht die Rechtspopulisten sind der Hauptgegner der SPD, sondern die … neoliberale globale, selbstgerechte Elite.‘ Nils Heisterhagen, Linker Realismus, FAZ vom 20. November 2017, S. 8. Es ist erstaunlich, mit welcher historischen Blindheit Sozialdemokraten entgegen den Erfahrungen von Weimar heutzutage wieder argumentieren. Antikapitalismus statt Antinationalismus, von Lafontaine und Wagenknecht war man solche Töne ja gewohnt, aber nun selbst die SPD? Auch so kann man von den Positionen der traditionellen Linken aus die intellektuelle Reise in die Vergangenheit angesichts von Globalisierung und neuer Weltordnung antreten, zurück in die heroischen Zeiten der Vorherrschaft Europas und seiner Arbeiterklasse!“

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