Der Mythos von der Hayekianischen Föderation. Einen Aufsatz genau gelesen und an der Realität überprüft

In manchen Kreisen der akademischen und politischen Europakritik gehört es seit einigen Jahren zum gepflegten Ton, die Vorbehalte gegen die europäische Integration auf einem Umweg vorzubringen. Den argumentativen Umweg wandert man mit dem Rekurs auf Friedrich August von Hayek, den Ultraliberalen, im Rucksack. Hayek habe in einem kleinen Aufsatz von 1939 („The Economic Conditions of Interstate Federalism“)[1] prophetisch eine schicksalhafte Zukunft für Europa an die Wand gemalt, eine Entwicklung, die ein halbes Jahrhundert später eingesetzt habe. „Hayeks Aufsatz von 1939 liest sich wie ein Konstruktionsplan für die Europäische Union von heute“ (Streeck 2013, S. 146). Und wenn der Ultraliberale die EU quasi erfunden hat, dann bleibt ja nur die schroffe Ablehnung der Europäisierung, so wohl die schlichte Insinuation. Ähnlich wie Wolfgang Streeck argumentiert unter Bezugnahme auf den genannten Aufsatz Quinn Slobodian, der von einer „implizite(n) – und sogar explizite(n) – Inspiration für die wirtschaftliche Integration Europas“ (Slobodian 2020, S. 152) spricht. Das macht so manchen Sozialwissenschaftler erschrocken, z.B. Thomas Biebricher. „Es ist verlockend, die geradezu unheimlichen Analogien (Herv.d.Verf.) zwischen Hayeks Entwurf aus dem Jahr 1939 und der heutigen Eurozone weiterzuverfolgen, erscheint doch Hayeks(s) Föderation geradezu als Bauplan für die Wirtschafts- und Währungsunion“ (Biebricher 2021, S. 99).

Die folgenden Ausführungen beschäftigen sich mit dieser Erzählung vom Hayekschen „Konstruktions- und Bauplan“ für Europa, indem sie erstens Hayeks Aufsatz einer präzisen Lektüre, Interpretation und Einbettung unterziehen, und zweitens Hayeks Thesen skizzenhaft an Struktur und Funktionsweise der EU prüfen. Es wird sich zeigen: Es handelt sich um ein Schauermärchen.

Der Aufsatz – eine zeitbedingte „Gelegenheitsarbeit“

Slobodian wundert sich, warum im 34 Kapitel umfassenden „Oxford Handbook of Austrian Economics“ kein einziges Kapitel zu den internationalen Ordnungsvorstellungen der Österreicher enthalten ist. Er wundert sich auch darüber, dass Hayek in einem Interview (1983) einer Weltregierung eine strikte Absage erteilt. Er hätte auch hinzufügen können, dass sich in Hayeks Spätwerk nur wenige bis keine Ausführungen zur europäischen Integration, zur Globalisierung und zum globalen Freihandel finden. Slobodian nennt dies „bewusste Verleugnung“ bzw. „selektiven Gedächtnisverlust“ (Slobodian 2020, S. 133).

Die Antwort auf diesen dem Scheine nach paradoxen Befund ist vor dem Hintergrund von Hayeks Gesamtwerk und der Entwicklungsgeschichte seiner Theoretisierungen zu finden. Wie bei anderen „großen Denkern“ registriert man das Phänomen, dass sie verschiedene Phasen und mitunter gewaltige Metamorphosen durchlaufen haben. Gerade bei Hayek sind diese Metamorphosen (und Weiterentwicklungen sowie Neuorientierungen) sehr ausgeprägt. Es ist bei ihm sinnvoll, drei Phasen zu unterscheiden: 1.) Das Frühwerk wird geprägt durch Konjunkturforschung – ab 1927 war er Leiter des Österreichischen Instituts für Konjunkturforschung –, er beschäftigte sich mit Statistik und konkreten Fragen der nationalen und internationalen Wirtschaftspolitik sowie Geldtheorie, im engeren Sinne also mit ökonomischen Fragestellungen. 2.) In der mittleren Phase, einsetzend in den dreißiger Jahren und veranlasst durch die epochalen Veränderungen in der Weltpolitik, verzeichnet man eine Hinwendung zum Politischen und Ideologischen, auch zum Aktivismus, die ihren Höhepunkt in der 1944 erschienenen Streitschrift „The Road to Serfdom“ fand. Ökonomische Fragen im engeren Sinne interessierten ihn in dieser Zeit schon nicht mehr, sie führten zu einer vollständigen Abkehr von der Ökonomie; Mathematik, Makroökonomie usw. zogen sich seine Verachtung zu. Stattdessen rückten Fragen des Rechts und der Wissensproblematik in den Vordergrund. 3.) Die Themen, die das Spätwerk auszeichnen, zeigen eine Hinwendung zu Sozialphilosophie und Erkenntnistheorie, zu Entwicklungsökonomie und eine Radikalisierung des Marktgedankens, hinzufügen ließen sich die rechtlichen und politischen Theoretisierungen in den beiden Großwerken ( „Die Verfassung der Freiheit“, 1960, und „Recht, Gesetzgebung und Freiheit“, Mitte der siebziger Jahre). Die Phase begann im Verlauf der fünfziger Jahre und schlug – in wachsendem Ausmaß – die Richtung der Fundamentalisierung und des Übergangs ins Irrationale ein.

Hayeks schmaler Aufsatz „The Economic Conditions of Interstate Federation“, auf den so gerne Bezug genommen wird, entstammt dem Jahr 1939, also der mittleren Phase seines Schrifttums. Für den „eigentlichen Hayek“ der Spätphase kann er also nicht herhalten. Aber das ist als Hinweis läppisch. Wichtiger ist, dass sein Inhalt weder mit der 1957 gegründeten EWG und der späteren Währungsunion ab 1992, mit denen sich Streeck auseinandersetzt, noch mit GATT/WTO, Slobodians Themen, etwas zu tun hat, nicht einmal als Muster herhalten kann.

Es ist umgekehrt so, dass Hayeks Haupt- und Spätwerk Anzeichen einer Rückbesinnung auf den Nationalstaat aufweist. Alle Internationalisierungen nach dem Zweiten Weltkrieg – beginnend mit dem IWF und der Weltbank, sich fortsetzend mit der europäischen Integration und endend mit GATT/WTO – mussten für ihn eine einzige Enttäuschung sein, daher auch sein offensichtliches Desinteresse an diesen Institutionalisierungen. Seine beiden politischen und rechtsphilosophischen Hauptwerke und die zahlreichen Aufsätze beschäftigen sich dann auch nicht mehr mit dem Internationalen, sondern eher dem Nationalen und den nationalen Konstruktionen.

*Das gilt nicht zuletzt für seine Überlegungen zur Zerschlagung des nationalen Geldwesens, nicht internationale Währungsunionen oder nationaler Währungswettbewerb fanden sein Interesse, er begab sich in seinen Überlegungen in das Innere der Marktwirtschaft (und der Demokratie).*

Im Mittelpunkt von Hayeks Überlegungen in der mittleren Phase stand die Frage, wie die ökonomische Macht des Nationalstaates gebrochen werden kann. Nachdem der durch den Goldstandard gestiftete weltwirtschaftliche Funktionszusammenhang im Ersten Weltkrieg untergegangen war, eröffneten sich für die Nationalstaaten neue wirtschaftliche Gestaltungsmöglichkeiten, mit denen in das reine Marktgeschehen interveniert werden konnte. Hinzukam, dass sich die Zahl der Nationalstaaten mit dem Zusammenbruch der Imperien und der Entkolonisierung rasant vervielfachte. In den entwickelteren Ländern machten sich keynesianische Vorstellungen über die Steuerung der nationalen Volkswirtschaften breit. Die nicht entwickelten, entkolonisierten Länder begaben sich auf den Weg der nachholenden Entwicklung. Ein ganzer Block von Ländern fiel aus dem weltwirtschaftlichen Kontext vollständig heraus, zunächst die Sowjetunion, nach dem Zweiten Weltkrieg weitere Länder in Europa und im Rest der Welt.

All dies beunruhigte die liberale Welt zutiefst, und sie begann sich zu formieren, vor dem Zweiten Weltkrieg in Paris im Lippmann-Kolloquium (1939), danach in Genf in der Mont-Pèlerin-Gesellschaft (1947). Hayeks Föderations-Aufsatz hätte, so könnte man glauben, einen inhaltlichen Ansatzpunkt für die neue, jetzt neoliberal genannte Bewegung abgeben können. Und genau diesem Gedanken folgt Slobodian und all die anderen von Hayek Faszinierten (oder Geblendeten). Allein – der Aufsatz war argumentativ viel zu dünn, zu widersprüchlich, zu naiv, als dass er das Programm für ein neoliberales Welt- oder Europaprogramm hätte abgeben können. Er war eben eine „Gelegenheitsarbeit“.

Wer sich die Mühe macht, den Text zu lesen und nicht nur erschrocken die Überschrift zur Kenntnis nimmt, fragt sich, warum sich all die linken Kritiker so von ihm haben einschüchtern lassen und ihm eine Bedeutung zumaßen, die ihm nicht beikam.

Der Inhalt des Aufsatzes

Der Aufsatz gliedert sich in fünf Abschnitte. Im ersten Abschnitt führt Hayek aus, dass die politische Union der Föderation nicht nur eine gemeinsame Außen- und Verteidigungspolitik, sondern unbedingt auch eine Wirtschaftsunion umfassen sollte: „Es scheint ziemlich sicher, daß eine politische Union zwischen einstmals souveränen Staaten ohne gleichzeitige Wirtschaftsunion nicht lange dauern würde“ (S. 328). Im zweiten Abschnitt skizziert er die Konsequenzen des Wegfalls der Zollmauern und der freien Beweglichkeit von Gütern, Menschen und Kapital für den dann entstehenden einzigen Markt. Dazu zählt er ein einheitliches Geldwesen, ein Zurückgehen der Regulierung einzelner Industrien und die Begrenzung der Staatseinkünfte. In Abschnitt drei setzt er sich mit der Frage auseinander, ob der Bund die bisherigen Planungs- und Lenkungsmaßnahmen der Einzelstaaten übernehmen sollte. Die auftretenden Schwierigkeiten exemplifiziert er am Beispiel der Zölle, grundsätzlich gelte das aber für allen Protektionismus. Der vierte Abschnitt versucht nachzuweisen, dass in einer Föderation/einem Bundesstaat weniger „regiert“ wird, wenn man keine Übereinstimmung erzielt. Lieber keine Gesetzgebung als einzelstaatliche Gesetzgebung sei die „Feuerprobe“ auf die Reife für eine Föderation. Schlupflöcher für dennoch bestehende einzelstaatliche Gesetzgebung sollten dadurch gestopft werden, dass dem Bund eine „negative Macht“ zukommen sollte, solche einzelstaatlichen Vorgehensweisen zu verbieten, ohne dass er sie selbst ausüben könnte. Der Bund habe die Aufgabe, ein „dauerhaftes Rahmenwerk“ zu schaffen, innerhalb dessen die „unpersönlichen Kräfte des Marktes“ möglichst ungehindert walten könnten. Der fünfte und letzte Abschnitt enthält ein allgemeines Plädoyer für den Liberalismus. Die Föderation könne nur dann Erfolg haben, wenn sie von einer „liberalen Wirtschaftsregierung“ angeführt würde, lautet die erste Feststellung. „Die Abschaffung souveräner Nationalstaaten und die Schaffung einer wirksamen internationalen Rechtsordnung sind die notwendige Ergänzung und logische Vollziehung des liberalen Programms“ (S. 341), so die zweite Feststellung.[2]

Im Stil ist der Aufsatz in dem für Hayek typischen aufgeblasenen, selbstgefälligen, blasierten Ton gehalten, im Inhalt eine Aneinanderreihung von Aussagen, Hypothesen, Vermutungen und Spekulationen, Hoffnungen und Wunschvorstellungen. Im Schlussabsatz rekapituliert er, dass es sich bei der Föderation um eine „Hoffnung“, ein „Ideal“ handelt. Von einer immanenten Logik, die von der Gründung der Föderation über den neuen Binnenmarkt (Wegfall der Zölle und anderer Protektionismen) zur „Abschaffung souveräner Nationalstaaten“ und einer internationalen liberalen Ordnung führt, ist die „Argumentation“ meilenweit entfernt.

Der Begriff der Föderation wird in Hayeks Aufsatz zwar nicht en Detail ausgefaltet, soviel aber ist erkennbar: Er enthielt auf jeden Fall – anders als bei einem bloßen Staatenbund – eine Zentralinstanz, auf die die zentralen Geschäfte der früheren souveränen Nationalstaaten übergehen sollten. Hayek spricht von einer gemeinsamen oder zentralen oder einer föderalen Regierung („common government“, S. 255, „central government“, S. 265, „federal government“, S. 261, S. 267), auch einer Unionsregierung („Union government“, S. 256). Von dem Gebilde spricht er als einer Union (durchgehend im Wechsel mit Föderation) bzw. zwischenstaatlichen Föderation (so im Titel), einer suprastaatlichen Organisation („suprastate organization“, S. 265 f.) bzw. einer internationalen Organisation („international organization“, S. 272).[3]

Die föderale Regierung sollte eine gemeinsame Geldpolitik und Fiskalpolitik (S. 259 f.) und die gemeinsame Außen- und Verteidigungspolitik betreiben (S. 256 f.). Es sollte durchaus eine machtvolle Regierung sein, der auch, wie oben bereits angedeutet, ein Verbotsrecht für legislative Maßnahmen der Einzelstaaten zukommen sollte (S. 267).[4]

Interessant ist, dass Hayek offensichtlich von einem initiatorischen politischen Gründungs- oder Schöpfungsakt ausging, da er im ersten Teil des Aufsatzes ausführlich die Notwendigkeit der Ausdehnung der politischen Union auf das Gebiet der Wirtschaft, im heutigen Sprachgebrauch eine Wirtschaftsunion, begründet. Das Gebilde sollte weder eine Union noch ein Staatenbund, sondern ein Bundesstaat sein (S. 270), wohl am ähnlichsten der Doppelmonarchie, in die er hinein geboren wurde (S. 256). Insgesamt bleiben die Ausführungen dazu eher schemenhaft.

Ziel, Sinn und Zweck der Föderation: Marktmechanismus und Preisbildung sollten sich auf ihrem Territorium möglichst „rein“ entfalten können, d.h. ungestört durch Zölle, Subventionen und andere protektionistische Maßnahmen wie, modern ausgedrückt, Industriepolitik. Innerhalb des föderalen Binnenmarktes wäre der freie Fluss von Arbeit, Gütern und Kapital eine Grundvoraussetzung. Die gegebene und die sich ergebende Arbeitsteilung sollte allein aus dem Marktmechanismus resultieren und nicht durch politische Maßnahmen beeinflusst werden.

Das mit Abstand gewaltigste Hindernis auf dem Weg zur Erreichung dieses Ziels stelle, so Hayek, der Nationalstaat dar. Dieser Aspekt ist in verschiedener Hinsicht von zentraler Bedeutung für das Verständnis des Neoliberalismus allgemein und speziell für Hayeks Föderationsüberlegungen. Unter historischem Blickwinkel war der Internationalismus aus der Ära des Goldstandards – die Idealwelt für die Regulierung der internationalen Arbeitsteilung – mit dem Ersten Weltkrieg untergegangen und so nach seiner Auffassung nicht wieder herstellbar. Aus diesem Epochenbruch gingen zum Leidwesen der Liberalen all die Nationenbildungen der Entkolonisierung, die Planungsgedanken in den entwickelteren Staaten und die Ansprüche auf nachholende Industrialisierung und industrielle Protektion in den weniger entwickelten Staaten hervor. Der in Hayeks Schrift aus dem Jahr 1939 ausgerufene Gedanke der Relativierung, Eindämmung, gar Zerstörung des nationalen Gedankens fand seinen Ausgangspunkt nicht nur dann, wenn voller Sehnsucht auf das 19. Jahrhundert zurückgeblickt wurde, sondern – positiv – auch in den Erfahrungen in der Doppelmonarchie, in der sie eine Trennung von Wirtschaftlichem (und Politischem) auf der föderalen Ebene und Kulturellem in den nationalen Untereinheiten wahrnahmen.

Die Beseitigung der wirtschaftlichen Grenzen in der und durch die Föderation wäre in der Lage, so der Gedanke, den Nationalismus und seinen Souveränitätsanspruch im Kern zu relativieren und zu überwinden. Der Nationalstaat und der Nationalismus, so Hayek, stehen für Gruppensolidarität und Einzelinteressen (S. 257), für Nationalstolz (des Arbeiters auf „seine“ Industrien) und nationale Stärke (S. 262), für Vorstellungen von Homogenität, gemeinsame Überzeugungen, Werte, Traditionen und nationale Mythen (S. 264). All diese Verwerflichkeiten des Nationalstaates ließen sich in einer Föderation brechen, sie verlören ihre Grundlage und würden im Keim erstickt. Gruppeninteressen, sei es von Industrien, Berufsverbänden oder ganzen Staaten, wären nicht mehr artikulierbar, da sie in einem größeren Ganzen aufgehoben wären. In der Föderation, so deutet es sich im Text an, würden Nationen in Staaten transformiert.

Hayek exemplifiziert den Gedanken am Beispiel der Zollpolitik in einer Föderation (S. 261 ff.) Er fragt: Ist es wahrscheinlich, dass der französische Bauer mehr für sein Düngemittel bezahlen will, um dem britischen Düngemittelproduzenten zu helfen? Würde der schwedische Arbeiter mehr für seine Orangen bezahlen wollen, um den kalifornischen Pflanzer zu unterstützen? Oder der kaufmännische Angestellte in London mehr für seine Schuhe oder sein Fahrrad mehr bezahlen wollen, um den amerikanischen oder belgischen Arbeitern zu helfen? Oder wäre der südafrikamische Bergarbeiter bereit, mehr für seine Sardinen zu zahlen, um den norwegischen Fischern zu helfen? Die genannten Herkunftsländer waren wohl als potentielle Mitglieder einer Föderation gedacht. Durch das Eigeninteresse verschwänden die Zollmauern im Inneren der Föderation, und ähnlich erginge es allen anderen Formen des Protektionismus. Wozu dann aber, so wäre zu fragen, eine Föderation gründen, es genügte doch weit unterschwelliger zu verfahren und eine Zollunion wie die EWG auf den Weg zu bringen?[5] Und weiter wäre zu fragen: Was ist mit dem Außenzoll?

Kritik: Ein wildes Gemisch von Spekulationen

Hayek unterliefen zwei Fehler: 1.) Er ging an keiner Stelle seines Textes auf die Frage ein, warum die Nationalstaaten bereit sein sollten, sich in zwischenstaatliche Föderationen zu begeben, in der sie doch in ihren politischen und wirtschaftlichen Gestaltungsmöglichkeiten beschnitten werden sollten. 2.) Damit zusammenhängend hatte er die Kraft der Nationalstaaten und ihres Souveränitätsanspruchs völlig unterschätzt, ein Aspekt, der ihn später zu der Hinwendung der nationalen Basis der Marktwirtschaft brachte.

Die Auseinandersetzung mit politischen Realitäten gehörte nicht zu Hayeks Stärken. Auch fehlten ihm Bereitschaft und Wille dazu, sich damit zu beschäftigen. Mit den in seiner Lebensphase bestimmenden weltpolitischen Phänomen, dem Aufstieg und Niedergang des Faschismus und dem Kalten Krieg, setzte er sich nicht oder nur am Rande auseinander. Seine Themen lagen auf einer ganz anderen Ebene. Auch tauchen in seinem Aufsatz konkrete und anzustrebende Föderationen nur en passent auf. Am Ende seines Buches „Der Weg zur Knechtschaft“ findet sich folgender Hinweis: „Ich glaube, … daß ein Grad von Kooperation (Herv.d.Verf.) zwischen, sagen wir, dem Britischen Reich und den westeuropäischen Staaten und vermutlich (sic!) den Vereinigten Staaten von Amerika verwirklicht werden könnte“ (Hayek 1945, S. 292). Von Föderation war zu diesem Zeitpunkt schon nicht mehr die Rede, es wäre auch ein geradezu abwegig-tollkühner Gedanke gewesen. In dem einige Jahre älteren Interstate-Federation-Text fehlen konkrete Hinweise auf denkbare Föderationen der Zukunft ganz.[6] Er nennt lediglich das British Empire, die USA, die Doppelmonarchie Österreich-Ungarn und die Schweiz als existierende Föderationen.

Auf eine Frage, eine nicht ganz unwesentliche, geht Hayek in seinem Aufsatz nicht ein, nämlich die Frage, warum die Nationalstaaten, den Schritt in die Föderation wagen sollten, warum sie ihre Selbstentmachtung hinnehmen sollten, warum sie sich sehenden Auges einer neuen, über ihnen schwebenden Macht der föderalen Regierung, ihre bisherigen Kompetenzen überlassen sollten. Die Frage nach dem staatspolitischen Motiv zum Übergang in die Föderation bleibt bei Hayek außen vor.

Bekanntlich lebt der Nationalgedanke, wie Hayek selbst hervorhebt, von Mythen, Ideologien und wirklichen oder eingebildeten Gemeinsamkeiten, Phänomen, die nicht einfach zu überwinden sind und sich in politischen Schöpfungsakten nicht einfach beiseiteschieben lassen, die Beharrungskräfte sind groß. Dem Nationalpolitiker oder Politiker in der Nation ist nichts so wichtig, um es tautologisch zu formulieren, wie die Nation, zumal in Demokratien die Legitimation daran hängt. Warum also sollte es geschehen, dass sich Nationen in Staaten verwandeln, sich verflüchtigen und selbst aufheben?

Slobodian äußert sich in seiner Monographie zu diesem Thema gar nicht, Streeck, der sich ausführlicher mit Hayeks Text beschäftigt, hat dazu eine Idee (Streeck 2013, S. 141 ff.). Es gehe dem Österreicher – dem Zeitkontext folgend – um die Bedingungen einer stabilen internationalen Friedensordnung, die nötigte die Nationen in eine Föderation, die nach innen schlichtend wirke und nach außen Sicherheit verschaffe.[7] Es kann bezweifelt werden, dass solche „Externalitäten“ in Hayeks Gedanken eine Rolle spielten, es sei dahingestellt. Den Gründungsakt der Föderation jedenfalls stellte sich Hayek offensichtlich einfach vor, sein argumentatives Hauptinteresse galt der Begründung der Notwendigkeit, dass eine Politische Union unbedingt eine Wirtschaftsunion nach sich ziehen sollte und dass die Föderation wirtschaftliche Liberalisierungen in Gang setzen könnte.

Was Hayeks Aufsatz auf jeden Fall nicht ist, ist eine systematische Überlegung zu einer internationalen Föderation. Es handelt sich vielmehr um ein Sammelsurium von Hypothesen, Annahmen und Vermutungen, um Setzungen unterschiedlicher Plausibilität. Eine schlüssige „Theorie der internationalen Föderation“ stellen die Überlegungen nicht dar. Genau davon geht aber Streeck aus, wenn er auf der Basis von Hayeks Aufsatz formuliert: „Föderation bedeutet .. unvermeidlich Liberalisierung“ (Streeck 2013, S. 144), und er behauptet, dass eine internationale Föderation „notwendigerweise wirtschaftspolitisch liberal sein muss“ (ebd., S. 145). Föderalismus und Föderation – im Sinne von Macht- und Interessenteilung – passen zwar eher in neoliberale Vorstellungswelten und lassen sich in ihrem Sinne ausnutzen, aber es gibt keine inhärente Logik, die föderale Gebilde „unvermeidlich“ und „notwendigerweise“ zu liberalen Gebilden machen.[8] Streecks Problem ist, dass er eine Idee mit einer Logik verwechselt – was passieren kann.

Die EU als Emanation des Hayekschen Föderationsplans?

Nichts von dem, was sich Hayek 1939 zu einer „Interstate Federation“ ausmalte, hat sich 1957 (EWGV) und/oder 1992 (Vertrag von Maastricht) verwirklicht, ganz zu schweigen von IWF, NATO oder anderen internationalen Institutionalisierungen. Daher nimmt es auch kein Wunder, dass er sich in seiner dritten und letzten Lebensphase, wie eingangs erwähnt, anderen Themen zuwandte. Die Richtung, in die sich seine Gedankenwelt bewegte, kehrte sich um, weg vom Internationalen hin zu Grundfragen der Marktwirtschaft (auf nationaler Basis), der Verfassung politischer und rechtlicher Gemeinwesen und die Sozialphilosophie. Die europäische Integration und die globalen Institutionalisierungen strafte er mit Nichtbeachtung, dabei hätte doch, folgt man den Thesen seiner Deuter, aller Grund zum Jubel bestanden.

Nach dem Zweiten Weltkrieg schien der Nationalstaat in Europa bis in seine Grundfesten diskreditiert, in Deutschland war es die rassistische Variante des Nationalismus, im Rest Europas die Schwäche im Kriegsverlauf. Die frühen Europäer knüpften ihre Hoffnungen daran und setzten den Einstieg in eine sofortige politische Vereinigung Europas auf ihre Agenda. Der Schwung hielt aber nicht lange. Mit der Gründung der Montanunion, die mit der Hohen Behörde über eine machtvolle supranationale Institution verfügte, war davon zwar noch etwas zu erahnen, die wenige Jahre später verabredete EWG schwächte schon wieder das supranationale Prinzip, indem nicht die Kommission das Entscheidungsorgan der Gemeinschaft wurde, sondern der nationalstaatliche Ministerrat. Insgesamt war diese Art von Wirtschaftsunion meilenweit von der Hayekschen Föderation aus dem Jahr 1939 entfernt. Und der Nationalstaat wurde in der „Föderation“ EWG nicht geschwächt und in einer föderalen Überwölbung eingedämmt. Die historische Forschung hat das Gegenteil bewiesen, die „Föderation“ EWG trug zur Festigung des Nationalstaates bei (Milward 1992).

Im Kern war die EWG eine Zollunion, nicht mehr. Man muss sich an Hayeks Kerngedanken in seinem Aufsatz erinnern: Eine Föderation sollte durch einen politischen Schöpfungsakt gegründet werden, um die Zölle und alle die anderen verhassten Protektionismen zum Verschwinden zu bringen, ein in gewisser Weise deduktionistischer Gedanke. Wir erinnern uns an die kapriziösen Überlegungen zum kalifornischen Orangenpflanzer und den schwedischen Arbeiter, die sich mit ihren Interessen im Wege stünden, wenn erst einmal die Föderation gegründet ist. In den fünfziger Jahren bedurfte es in Westeuropa keiner Föderation, um die Zölle in der Gemeinschaft abzuschaffen. An dieser Stelle – und an vielen anderen – zeigt sich, wie abwegig und realitätsfern Hayeks Überlegungen waren. Wiedererstarkte Nationalstaaten verständigten sich auf dem begrenzten Gebiet der Handelsliberalisierung, ganz ohne Föderation.

Und die heutige EU? Finden sich in ihr – wenigstens – Spurenelemente der Hayekschen Gedankenwelt, die es rechtfertigen, dass von einer den Nationalstaat domestizierenden politisch-ökonomischen Ordnung gesprochen werden kann? Oder kommt sie einer „hayekschen Wirtschaftsverfassung“ (Streeck 2014) gleich? Von nichts davon kann die Rede sein. Ein über den Nationalstaaten kreisendes Hayekianischen schwarzes Loch, das sie unwiderstehlich aufsaugt und sie zu bloßen Staaten herabsetzt, existiert nur in den vom Meister berauschten Köpfen der Europakritiker. Es sind die in den Räten, dem großen und dem kleinen, zusammenkommenden Nationalstaaten, die die Geschicke des europäischen Projekts steuern. Der Europäische Rat als Kapitän auf dem Schiff lässt die Kommission gewähren (oder auch nicht), er stattet sie mit Aufträgen aus und gibt die Navigation des Schiffes aus. Von einer Zentralregierung der Föderation, wie Hayek sie vorschlug, ist selbst mit Ferngläsern nichts zu sehen. Und im Übrigen: Die Nationalstaaten können in der „Union“ ihre eigene Suppe kochen (die Iren mit ihrer Dumping-Steuerpolitik), setzen ihre eigenen Interessen durch (die Deutschen für ihre Autoindustrie) und können im Zweifelsfall austreten (die Briten) usw. usf.

Und die „hayeksche Wirtschaftsverfassung“? Sofern damit die Währungsunion ohne Wirtschaftsunion, die Regeln und die sonstigen supranationalen „Gesetze“ gemeint sind, haben die Krisen der vergangenen Jahre gezeigt, dass der Traum der Hayekianer und die Vermutung der Europakritiker, ein auf basalen Regeln und Mechanismen beruhender Druck könne die Nationalstaaten disziplinieren, nicht Wirklichkeit geworden ist. Sowohl auf „föderaler“ wie auf nationaler Ebene wurde in den Marktprozess interveniert, was das Zeug hielt.

Der Kerngedanke von Hayeks Föderationsplan war, durch die Staatsbildung auf höherer Ebene die Preisbildung in der größtmöglichen „Reinheit“ zur Geltung zu bringen. Am Beispiel der Preisbildung auf dem Markt für den Staatskredit zeigte sich in und nach der Finanzkrise, dass die europäischen Akteure nicht gewillt waren, die sich plötzlich entwickelnden Marktgegebenheiten hinzunehmen. Neue Institutionalisierungen (ESM) und neuartige Interventionen (EZB) sorgten dafür, dass der differenzierte Zins auf den Staatskredit für die europäischen Staaten eingehegt wurde. Er besteht zwar auf dem eingehegten Niveau weiter, die sich abzeichnende Entwicklung aber ist klar: in der längeren Frist wird es zu einem einheitlichen Zins auf den europäischen Staatskredit kommen, ob in Gestalt von Eurobonds oder auf anderem Weg.

Um der Wahrheit die Ehre zu geben, ist aber eine Konzession einzuräumen. Es gab im ersten Jahrzehnt der Währungsunion tatsächlich Versuche, Hayekianisches Gedankengut in die Währungsunion zu importieren, allerdings nicht solches aus dem Aufsatz von 1939. Die Idee des in der Währungsunion organisierten Staatenwettbewerbs machte die Runde (vgl. dazu Polster 2022, S. 109 ff.). In Hayeks Aufsatz zur Föderation tauchte dieser Gedanke nur ganz am Rande auf, sozusagen unter ferner liefen (S. 268). Der von deutschen „Hayekianern“ ins Spiel gebrachte Versuch, der von der Merkel-Regierung willfährig aufgegriffen wurde, ist aber kläglich gescheitert. Staatenwettbewerb hatten die Mitgliedstaaten der Währungsunion auf den Währungsmärkten schon vor Maastricht, den föderalen Wettbewerb in der Währungsunion wollten sie sich nicht wieder antun. Das Projekt verschwand in der Versenkung, seither ist nur noch von Europa als Ganzem die Rede.

In der Wirtschaftsgeschichte nach dem Zweiten Weltkrieg kam es zwar zu einigen Internationalisierungen, die waren aber weit entfernt von Hayeks Föderationsplan aus dem Jahr 1939. Von großem Interesse ist in diesem Zusammenhang die Frage, wie mit dem Kapitalverkehr umgegangen wurde. Sowohl die IWF-Ordnung wie auch der EWGV sahen in dieser Hinsicht strikte Kontrollen vor, um eine souveräne Wirtschaftspolitik der Nationalstaaten zu ermöglichen, was eine herbe Enttäuschung für die auf dem Lippmann-Kolloquium und wenige Jahre später am Mont Pèlerin zusammengekommen liberalen Geister sein musste. Die m.o.w. verrenkten Überlegungen Hayeks zu einer Föderation, um die Nationalstaaten gewissermaßen auszutricksen, ihre Souveränität zu unterwandern und aus Nationen subordinierte Staaten zu machen, waren auch nicht vonnöten, um die internationale Ordnung in ihrem Sinne zu transformieren. Es genügte der Ansatz an der Regulation des Kapitalverkehrs. Es waren einzelne Nationalstaaten – zunächst Westdeutschland, dann die USA und andere –, die in das dichte Gewebe des kontrollierten Kapitalverkehrs Löcher schossen und nach und nach die Regel des ungehinderten freien Kapitalverkehrs etablierten. Aus der Welt der Nationalstaaten, zu der so manche Europakritiker zurückwollen, kam der Impuls für den Umbau der internationalen Ordnung, ganz ohne Föderation.

Fazit

Hayek kam in seiner späteren Lebensphase wohl selbst zu der Einsicht, dass die politischen Überlegungen zur Gründung einer Föderation aus dem Jahr 1939 untauglich waren, um dem Liberalismus auf internationaler Ebene zum Durchbruch zu verhelfen. In der Konsequenz wandte er sich daher, wie angedeutet, Fragen zu, die in gewisser Weise auf nationaler Ebene angesiedelt sind, zu schweigen von den sozialphilosophischen Überlegungen. Zwei Komplexe seien herausgegriffen: 1.) Politiktheoretisch beschäftigte er sich mit der Frage, wie die (nationale) Demokratie eingeschränkt werden könnte, da sie die größte Gefahr für das autonome Marktsystem darstelle. Das Ergebnis war eine Art Ständedemokratie, „Demarchie“ genannt. 2.) Ökonomietheoretisch verfeinerte, fundamentalisierte und verlängerte er den Wettbewerbsgedanken auf das Geldwesen (1974). Die Entnationalisierung des Geldes via private Gelder emittierender Banken lautete sein Vorschlag, nicht staatlicher Währungswettbewerb oder eine die Nationalstaaten unterjochende Währungsunion. Die Zerschlagung des nationalen Geldwesens, nicht internationale Währungsunionen oder nationaler Währungswettbewerb fanden sein Interesse, er begab sich in seinen Überlegungen in das Innere der Marktwirtschaft (und der Demokratie, die er nicht als Wert fasste und oft genug als Hindernis für die freie Entfaltung der Marktmechanismen wahrnahm).

Hayeks Aufsatz, den die von ihm Berauschten zu einem Modell hochstilisieren, wird maßlos überschätzt, enthält verquere Gedankengänge und landete letztlich in einer Sackgasse. Die Realität ist vollständig an ihm vorbeigegangen. Der Nationalstaat muss nicht durch eine Föderation gebändigt werden, um die Liberalisierung durchzusetzen, das erledigen die Nationalstaaten schon selbst. Es verhält sich gerade umgekehrt so: Wenn die Nationalstaaten nicht in übergeordnete Bündnisse eingebunden werden, die sie zu Mäßigungen, Kompromissen und Eingeständnissen zwingen, entwickeln sie aus sich heraus Alleingänge, „First“-Strategien und Wettbewerbsphantasien im Sinne des Liberalismus, da sie in ihrem Ausgangspunkt – der Priorisierung des Eigenen – Brüder im Geiste sind. Die „Liberalisierungsmaschine Europa“ (Streeck 2014a) ist ein Hirngespinst. Gäbe es Europäisierung und europäische Einigung nicht, hätten ungezügelte liberale Nationalstaaten noch ganz andere Entfaltungsmöglichkeiten.

In Hayeks „Knechtschaft“-Kampfschrift findet sich eine schöne Metapher, die als Desiderat seiner Gedankengänge zum Föderalismus gelten kann: Die „übernationale Instanz“ habe die Aufgabe, die Staaten von „Regisseuren“ in „Darsteller“ zu verwandeln (Hayek 1945/1991, S. 286). Auf die EU transponiert ließe sich der Unsinn von dem Föderalismus als Liberalisierungsmaschine nicht besser zum Ausdruck bringen: Die „Regisseure“ des europäischen Projekts sind die Nationalstaaten, die „Darsteller“ sind die europäischen Institutionen, ihre Repräsentanten und die ideologischen Bannerträger. Wer das europäische Theater nicht von innen kennt, sollte sich dazu nicht äußern.[9]

Slobodian ist so schlau, dass er die EU nicht expressis verbis als Emanation der Hayekschen Föderationsüberlegungen benennt. Er zitiert nur den Vertreter der These (Streeck). Er ist auch so schlau, nicht en Detail auf den Aufsatz einzugehen, er hält sich an die Überschrift und leitet daraus einen obskuren „Ordoglobalismus“ ab (S. 148 ff.). Ansonsten liest er in den Aufsatz Dinge hinein, wahlweise auch heraus, die nicht ihm stehen.[10]

Das Schauermärchen von der Angst einflößenden Hayekianischen Föderation, die in der EU wiederkehrt – es ist nur ein Schauermärchen, das von Sozialwissenschaftlern erfunden und erzählt wird, um Gruseln zu erregen. Weder zu Ehrfurcht (Hayek als Seher) noch zu Angst (um Europa oder den Nationalstaat) besteht Anlass. Das unter nationalstaatlicher Ägide funktionierende Europa entwickelt sich nach anderen Logiken und Gesetzmäßigkeiten, als es Hayek in seinem Aufsatz für eine fiktive Föderation entworfen hatte.

Literatur

Biebricher, Thomas 2021: Die politische Theorie des Neoliberalismus, Bonn.

Hayek, Friedrich August von 1939: The Economic Conditions of Interstate Federalism. In: Ders., Individualism and Economic Order, Chicago und London 1948/1980.

Hayek, Friedrich August von 1945/1991: Der Weg zur Knechtschaft, München.

Hayek, Friedrich August von 1976: Die wirtschaftlichen Voraussetzungen föderativer Zusammenschlüsse. In: Ders., Individualismus und wirtschaftliche Ordnung, Salzburg.

Milward, Alan S. 1984/1992: The Reconstruction of Western Europe 1945-51, London.

Polster, Werner 2022: Die Herausbildung einer europäischen Wirtschaftspolitik. Wirtschaftsregierung, Zahlungsbilanz und wirtschaftspolitische Koordination, Marburg.

Slobodian, Quinn 2020: Globalisten. Das Ende der Imperien und die Geburt des Neoliberalismus, Berlin (2. Auflage).

Streeck, Wolfgang 2013: Gekaufte Zeit. Die vertagte Krise des demokratischen Kapitalismus, Bonn.

Streeck, Wolfgang 2014a: Liberalisierungsmaschine Europa. Interview in Carta vom 6. Januar.

Streeck, Wolfgang 2014b: Small State nostalgia? The currency union, Germany, and Europe: A reply to Jürgen Habermas. In: Constellations 21/2.

[1]              Der Aufsatz erschien erstmalig im September 1939 in der Zeitschrift „New Commonwealth Quarterly“, V, No 2. Er wurde neu aufgelegt in Hayeks Sammelband „Individualism and Economic Order“ aus dem Jahr 1948 (Chicago) und in einer weiteren Auflage desselben Bandes (Chicago und London 1980). Von diesem Sammelband gibt es zwei deutsche Übersetzungen, eine ältere aus dem Jahr 1952 (Erlenbach-Zürich) und eine neuere aus dem Jahr 1976 (Salzburg), beide nur noch antiquarisch erhältlich. Eine Art Kondensat des Aufsatzes findet sich am Schluss von Hayeks „Knechtschaft“-Buch. Im Vorwort der zweiten deutschen Ausgabe misst Hayek dem Aufsatz zwar nach wie vor „Bedeutung“ zu, qualifiziert ihn aber als den zeitlichen Umständen von 1939 folgende „Gelegenheitsarbeit“.

[2]              Die Zitate in diesem Absatz sind der zweiten deutschen Auflage von 1976 entnommen.

[3]              Die Seitenangaben beziehen sich hier auf die englische Fassung von 1980. In der deutschen Übersetzung wird meist von einem „Bundesstaat“ gesprochen, nicht von „Föderation“.

[4]              Bei Hayek-Interpreten und -Deutern geht der Charakter der Föderation als starkem, machtvollen Gebilde mit einer ebenso ausgestatteten Regierung gänzlich verloren. Slobodian unterschlägt diesen Aspekt vollständig und spricht stattdessen von einer „lockeren Föderation“ (Slobodian 2020, S. 149) und reduziert sie auf eine „Freihandelsföderation“ (ebd., S. 148). Das passt natürlich besser zu der späteren Freihandelsbewegung nach dem Zweiten Weltkrieg, in der sich angeblich die Neoliberalen verwirklichten. Wir haben dagegen gesehen, dass das Gegenteil der Fall ist: Die Föderation stellte bei Hayek ein machtvolles staatliches Gebilde dar. Dass es sich bei dieser Föderation – wie bei Mises (s.u.) – um eine recht freihändig hergestellte Konstruktion handelte und einen Abweg in die mit Luftschlössern verbaute Welt wilder Spekulationen handelte, steht auf einem anderen Blatt.

[5]              Im „Weg zur Knechtschaft“ führt er aus: „In Wirklichkeit liegt einer der Vorzüge der Föderation in der Möglichkeit, sie so zu konstruieren, daß die meisten schädlichen Maßnahmen der Planung erschwert werden, während der Weg für alle wünschenswerte Planung offenbleibt“ (Hayek 1945, S. 288).

[6]              Die Vertreter der „Genfer Schule“ (Slobodian 2019, S. 16 ff.) hatten ihre Wiege in der KuK-Monarchie Österreich-Ungarn, einer Föderation. Einen Hinweis auf die Politikfremdheit der Österreicher bzw. Genfer findet man bei Hayeks Weggefährten Ludwig von Mises, der sich auch seine Gedanken zu Föderationen machte. Die Doppelmonarchie galt ihm (und andeutungsweise auch Hayek) als ein Modell für die zukünftige internationale Ordnung, da sie auf der Trennung von Staat und Nation beruhte und in ihr die nationale Souveränität, das Hauptproblem nach dem Ersten Weltkrieg, relativiert und begrenzt werde. In einem Aufsatz aus dem Jahr 1941 schlug Mises als Konkretion des Föderationsgedankens eine „Demokratische Union Osteuropa“ („Eastern democratic union“) vor, die ein Gebiet von der Ostsee über die Adria und die Ägäis bis zum Schwarzen Meer und von der Ostgrenze der Schweiz und Italiens bis zur Westgrenze Russlands umspannen sollte (Slobodian 2019, S. 151 ff., insb. S. 159 f.).

[7]              Hayeks Loblied auf die friedensstiftende Wirkung der Föderation ist naiv und geschichtsblind. Es lassen sich haufenweise Beispiele anführen, die auf innere Instabilitäten von Föderationen (US-Bürgerkrieg) und äußere Aggressionen (die Doppelmonarchie vor dem Ersten Weltkrieg) deuten. Begreift man das britische Empire als Föderation (und all die anderen Kolonialmächte), dann kann von friedensstiftender Wirkung schon überhaupt nicht mehr gesprochen werden. Beispiele für die innere Instabilität von Föderationen aus der jüngeren Geschichte: die sich abzeichnende Auflösung der Großbritanniens, einschlägige Tendenzen in den USA, die Auflösung der Tschechoslowakei, der Zerfall Jugoslawiens.

[8]              Das föderale Gebilde USA schaffte es in der Vergangenheit und der Gegenwart immer, sich im Innern und nach außen hin mit den dunklen Mächten (Hayek: „powers of darkness“, S. 266) zu verbünden und Regulationen im Inneren und Protektionismus nach außen zu praktizieren. Das föderale Gebilde Bundesrepublik Deutschland wiederum lässt für den „Preis der Arbeit“ nicht zu, dass Preisbildung nach „einzelstaatlichen“ oder regionalen Gegebenheiten erfolgt, sondern kennt Tariflöhne, allgemeine Renten und sonstige Sozialleistungen.

[9]              Streecks Vorschlag eines Zurück zum Nationalstaat (Streeck 2013, S. 246 ff.) wäre ein tautologisches Vorhaben. Dass es um mehr geht als die Auflösung der Währungsunion und die Wiedereroberung eines wirtschaftspolitischen Instruments, der Abwertungspolitik, zeigt sich in seiner Romantisierung des Nationalstaats. Die Nation gilt ihm als „eigen-artige wirtschaftliche Lebens- und Schicksalsgemeinschaft“ (ebd., S. 247). „Lebens- und Schicksalsgemeinschaft“ – das kennt man doch irgendwoher.

[10]            Slobodians ansonsten sehr lesenswerte Analyse setzt sich mit der Entstehung, Entwicklung und dem Einfluss der neoliberalen Ideologie und ihrem Widerhall in der Globalisierung des 20. Jahrhunderts auseinander. Er kommt dabei zu dem Ergebnis, dass es sich bei ebendiesem Jahrhundert um das „neoliberale Jahrhundert“ handele (Slobodian 2020, S. 376). Einmal abgesehen davon, dass man mit mindestens dem gleichen Recht vom „Jahrhundert des Keynesianismus“ sprechen könnte, muss die Qualifizierung doch erstaunen. Das institutionelle Resultat, so seine These, für die neoliberale Gestaltung des 20. Jahrhunderts war die 1995 gegründete WTO, an und in der Hayekianer fleißig mitwirkten (ebd., S. 343 ff.). Ihre Blütezeit war aber schon 1999 wieder vorbei, als in Seattle ihre Gegner und Kritiker zusammenkamen und eine Tagung verhinderten (ebd., S. 389 ff.). Heutzutage blickt man, wenn man die WTO in Augenschein nimmt, auf eine Ruinenlandschaft.

Miserabel: Eine EU-Geschichte aus niederländischer Sicht. Van Meurs u.a, „Die Unvollendete. Eine Geschichte der Europäischen Union“. Zu einer blamablen Veröffentlichung der Bundeszentrale für politische Bildung

Das Büchlein erhebt nicht den Anspruch einer wissenschaftlichen Analyse, sondern will lediglich einen „Überblick“ verschaffen, um als Lehrbuch an Universitäten eingesetzt zu werden. Die armen Studentinnen und Studenten. Das Büchlein ist, um es vorwegzunehmen, eine oberflächliche, sachlich mehr als oft falsche und peinliche Kompilation ohne jeden europäischen Bildungswert.

Hier eine Auswahl der Fehler: Das System von Bretton Woods habe, so die Autoren, den gegenseitigen grenzüberschreitenden Zahlungsverkehr geregelt (S. 35), was Unsinn ist, es war, Ende der fünfziger Jahre, die EZU. Einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen dem Werner-Plan (1970) und der Maastrichter Währungsunion (1992/2002), wie ihn die Autoren unterstellen (S. 84 f.), gibt es nicht. Das eine hat mit dem anderen förmlich nichts zu tun. Den Unterschied zwischen Ökonomisten und Monetaristen haben die Autoren nicht verstanden (S. 85), was sie dazu schreiben ist Kauderwelsch. Über den Maastrichter Vertrag hat man schon viel gelesen, ihn als „Fehlversuch“ (S. 142) zu kennzeichnen, ohne jeden Hinweis auf die komplexe Verhandlungssituation von 1990, ist zwar sportlich, aber mehr als abwegig, noch schlimmer die Formulierung, er stelle „einen Mittelweg zwischen Union und sektoraler Integration“ (S. 145) dar. Was die „kommunitäre EU“ (S. 173) ist, werden nur die Autoren wissen. Nicht einmal einfach zu recherchierende Zahlen stimmen: dass der ESM 1 Billion Euro „zur Verfügung“ (S. 205) hat, lässt sich durch einfaches Nachschlagen bei Wikipedia korrigieren. Dass die Schweiz ein „potenzieller Kandidat“ (S. 214) für die EU-Erweiterung (Redaktionsschluss: Dezember 2017!) ist, wird nicht nur die Schweizer überraschen.

Von der Eurokrise haben die Autoren nachgerade nichts verstanden. Hier schlägt die angestrebte sachliche Darstellung in interessierte Parteinahme um.

Beispiel: „Die jüngste Eurokrise und der Transfer von Milliarden Euro von Nord- nach Südeuropa ist eine Zerreißprobe für das Ideal der europäischen Solidarität“ (S. 16). Richtig ist: Es hat in der Eurokrise bislang keine Transfers gegeben. Es gab immer nur Kreditverhältnisse, die letztlich dazu geführt haben, dass die nördlichen Gläubigerstaaten in Gestalt von Zinserträgen (z.B. aus Griechenland-Krediten) und Niedrigzinsen der EZB von der Krise profitiert haben. Das gilt unter Absehung von dem griechischen Haircut von 2012, der aber auch kein Nord-Süd-Transfer war.

Ganz und gar gedankenlos plappern die Autoren nach, was der nordeuropäische Neoliberalismus an Desinformationen über die Eurokrise in die Welt gesetzt hat: „Die ‚No-bail-out‘-Klausel des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) beinhaltete ein Verbot, Mitgliedstaaten wegen Überschuldung zu retten“ (S. 205). Nichts davon steht in dem genannten Vertrag. Tatsächlich steht dort: „Die Union haftet nicht für Verbindlichkeiten der Zentralregierungen, der regionalen oder lokalen Gebietskörperschaften oder anderen öffentlich-rechtlichen Körperschaften, sonstiger Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder öffentlicher Unternehmen von Mitgliedstaaten und tritt nicht für derartige Verbindlichkeiten ein…“ Kein Wort von Verbot oder ähnlichem. Den Inhabern von Bonds wird in der Bestimmung lediglich signalisiert, dass sie im Falle von Finanzierungsschwierigkeiten eines Staates oder gar einer Insolvenz nicht damit rechnen können, dass die Union für den Ausfall aufkommt.

Weiter geht die haarsträubende Darstellung der Eurokrise mit der Behauptung, dass die EZB „gezwungen“ wurde, „den europäischen Banken günstige Kredite zu geben – eine indirekte Unterstützung für die Staaten in finanzieller Notlage“ (ebd.). Wer hat wann „gezwungen“? Wo ist der Beleg? Und wenn: Soll europäischen Staaten in Notlage nicht geholfen werden?

Die erste Gipfelhöhe an Unfug folgt auf dem Fuß: „Erst als Ende 2011 deutlich wurde, dass die beschlossenen Maßnahmen der EU das Vertrauen der Finanzmärkte und der Ratingagenturen nicht wieder herstellen konnten, endete der Europäische Rat von Brüssel im Dezember 2011 mit der feierlichen Verpflichtung von 26 Mitgliedstaaten, eine Fiskalunion zu schaffen, mit dem euroskeptischen Vereinigten Königreich als einzigem Verweigerer. Die Fiskalunion impliziert einen radikalen Eingriff in die nationale Souveränität bei Staatshaushalt und Fiskalpolitik. Alle Staaten würden einer strengen und umfassenden Kontrolle ihrer jährlichen Politik und Finanzen durch die Europäische Kommission unterliegen, und Sünder würden faktisch unter Brüsseler Kuratel gestellt werden. Ab dem 1. Januar 2013 wurde diese Fiskalunion eine Tatsache“ (S. 206). Nichts davon stimmt mit den Fakten überein. Was die Autoren meinen ist der sogenannte Fiskalpakt, der Begriff fällt allerdings nicht. Dieser Fiskalpakt – offiziell: „Vertrag über Stabilität, Koordinierung und Steuerung in der Wirtschafts- und Währungsunion“ – begründet keine Fiskalunion, sondern enthält einige, den so genannten Stabilitätspakt ergänzende Haushaltsregeln. Von einer Fiskalunion ist das Regelwerk meilenweit entfernt. Reinen Blödsinn stellt die Behauptung dar, „Sünder“ würden „faktisch unter Brüsseler Kuratel gestellt“. Tatsächlich ist es so, dass die Sanktionsmöglichkeiten der Kommission sehr begrenzt sind. Und am Ende, im Falle von Strafzahlungen, entscheidet nicht die Kommission, sondern der Ministerrat. Ansonsten: den Fiskalpakt hat nicht nur Großbritannien nicht unterschrieben, sondern auch Tschechien.

Die zweite Gipfelhöhe an Unfug, eher schon Peinlichkeit: Die Bürger in den wohlhabenderen Ländern des Nordens waren, so die Autoren, „verblüfft über das schiere Volumen an Finanztransfers im Umfang von mehreren Billionen und Garantien für die südlichen Mitgliedstaaten“ (S. 228). Wahrscheinlich meinen die Autoren Billionen Euro. Verblüfft waren aber nur sie. Die Wahrheit ist, wie oben bereits angedeutet: kein einziger Euro ist in der Krise von Norden nach Süden geflossen, der Transfer hatte – wundersames Phänomen – die umgekehrte Richtung.

Dergleichen Gemisch von sachlichen Fehlern und ideologischen Einfärbungen findet sich noch viel mehr.

All das lässt nur einen Schluss zu: Die Autoren legen sich die Karten so zurecht, dass eine nordeuropäisch-neoliberale Krisendeutung herauskommt. Schlimm, dass mit einem solchen Werk ideologischer Voreingenommenheit niederländische Student/inn/en in der Ausbildung konfrontiert werden. Schlimmer noch, dass die Bundeszentrale für politische Bildung ein solch blamables Werk auf den deutschsprachigen Markt bringt. Wer hat da nur kontrollgelesen?

 

 

 

 

Aus immer wiederkehrendem Anlass: Der Artikel 125 (Haftungsausschluss

Je mehr über die so genannte Euro-Krise geschrieben wird, desto mehr verbreitet sich der neoliberale Unfug darüber. Schon im Zentrum und Ausgangspunkt wissenschaftlichen Arbeitens, der Quelleninterpretation, ist der Unfug anzutreffen. Schon sehr früh, im Jahr 2010, tauchte im Zusammenhang der Griechenland betreffenden „Rettungspolitik“ die Frage auf, ob die europäischen Verträge dies erlaubten. Der Artikel 125 des AEUV rückte ins Visier. Dort heißt es:

„Die Union haftet nicht für Verbindlichkeiten der Zentralregierungen, der regionalen oder lokalen Gebietskörperschaften oder anderen öffentlich-rechtlichen Körperschaften, sonstiger Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder öffentlicher Unternehmen von Mitgliedstaaten und tritt nicht für derartige Verbindlichkeiten ein…“

 

Eigentlich lässt der Satz keine Hermeneutik zu. Er sagt aus: Wenn der Staat A aus der Staatengruppe B Insolvenz anmeldet, kommen B und C nicht für Verbindlichkeiten des Staates A (Staatsschulden) bei Besitzern von Schuldscheinen auf. B und C können sich also nicht auf A berufen, weil sie nicht haften.

Die neoliberale Ideologiemaschine in Deutschland hat daraus gemacht: Der Vertrag spricht ein Verbot für Hilfe – in diesem Falle für Griechenland – aus. Das steht definitiv nicht in dem Artikel, nicht einmal annähernd oder dem Sinne nach. Es handelt sich um eine die Kreditgeber betreffende Aussage. Trotzdem findet sich die Behauptung von dem seitens des Vertrags ausgesprochenen Verbots in zahllosen (neoliberalen) Publikationen.

Zu dem Thema gab es schon 2010 ein Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages:

https://www.bundestag.de/blob/407314/6ffb62a01ca31240bc1a3a66f56d92ed/wd-3-143-10-pdf-data.pdf

 

BDI für Vertiefung der Wirtschafts- und Währungsunion

In seinem stark an Macrons Vorschläge angelehnten Positionspapier „Eine starke und souveräne EU. Für eine neue Rolle Europas in der Welt“ listet der BDI neben Vorschlägen für andere Politikfelder folgende acht Vorschläge für eine Reform der Eurozone auf:

  1. Ein fiskalisches Stabilisierungsinstrument in Höhe von 1-2 Prozent des EU-BIPs. Nimmt man 2 Prozent, wären das für 2017 immerhin ein Volumen von rund 300 Milliarden EUR.
  2. Ein Reformumsetzungsinstrument mit einem Programmrahmen von 22 Milliarden EUR über sieben Jahre.
  3. Die Weiterentwicklung des ESM zu einem Europäischen Währungsfonds (EWF).
  4. Einen Einheitlichen Abwicklungsfonds für Banken im Rahmen der Bankenunion.
  5. Die Einheitliche Einlagensicherung im Rahmen der Bankenunion.
  6. Fortschritt bei der Unternehmensbesteuerung, dem Insolvenzrecht und die Schaffung eines sicheren europäischen Wertpapiers (Sovereign-Bond Backed Securities = eine Art Eurobonds).
  7. Eine Verbesserung der Economic Governance auf verschiedenen Gebieten.
  8. Überführung des Fiskalvertrags in die Verträge.

Das 42-seitige Papier findet man hier:

https://bdi.eu/media/publikationen/?publicationtype=Positionen#/publikation/news/eine-starke-und-souveraene-eu/

 

Spätberufene. #Aufstehen und der Cheftheoretiker: Die Links-AfD steht vor der Gründung

Fremdenfeindlichkeit und Ausländerhass hat Colin Crouch in der ZEIT (Nr. 34/2018) dem – wie gelegentlich zu lesen war – „Cheftheoretiker“ der Aufstehen-Bewegung Sahra Wagenknechts vorgeworfen. In der jüngsten Ausgabe (Nr. 36/2018) antwortet Wolfgang Streeck. Und die Antwort fällt kokett aus, weil der Antwortende keinen Hehl daraus macht, dass er genau das, was Crouch ihm vorwirft, auch ist. Ein Fremdenfeind und Ausländerfeind. Da helfen auch ein paar sophistische Fragen am Anfang des Artikels nicht weiter.

Eine dieser Pseudofragen geht so: „Ist Fremdenfeind, wer Einwanderer als Konkurrenten um Arbeits-, Kita- und Wohnplätze erlebt und deshalb Einwanderung begrenzt sehen will?“ Das wird man als Linker ja mal fragen dürfen. Der Habitus kommt einem bekannt vor, die Dämme sind ja auch schon anderswo gebrochen. Ersichtlicherweise eine Scheinfrage. Eigentlich sollte man auf Sophistereien nicht antworten, aber diese Frage lädt geradezu ein zur Antwort. Natürlich ist der von Streeck Zitierte kein Fremdenfeind, sondern ein Menschenfreund, dem es nur ein wenig an Empathie fehlt oder an Grips, rational über den Sachverhalt nachzudenken. Oder er ist einfach nur wütend, aber über was? Oder gibt es den Menschen am Ende gar nicht und er ist eine reine Erfindung Streecks?

Was aber sagt Streecks Frage und die Antwort, auf die er hinauswill, über die dahintersteckende Vorstellung – oder gar die Theorie aus der Sozialforschung, schließlich war Streeck ja einmal Direktor des Max-Planck-Instituts für Gesellschaftsforschung – über die Bewusstseinsentwicklung aus?

Die geht in etwa so: Der Mensch, von dem hier die Rede ist, hat 2015 die fremdenfreundliche Politik Merkels registriert und geahnt, was dahintersteckt: für neoliberalen Wind soll am Arbeits-, am Bildungs- und am Wohnungsmarkt gesorgt werden. Das gefällt mir nicht, sagt er sich, ich wähle jetzt AfD, weil deren sympathische Politiker ja ein gutes Angebot für den Arbeitsmarkt, den Bildungsmarkt und den Wohnungsmarkt haben. Und vor allem: die sind auch gegen Ausländer, so wie ich, und wenn die Ausländer weg sind, wird es wieder wie vor 2015, alles wird besser. Und wenn die AfD die Macht ergreift, wird sowieso alles besser. Die bauen dann ein Mauer rund um Deutschland, keiner kommt mehr rein, dass ich nicht mehr in Urlaub fahren kann, ist nicht so schlimm. Ungefähr an dieser Stelle setzt Streecks politisches Kalkül an. Wenn man jetzt eine kleine Portion linke Fremdenfeindlichkeit, so die Überlegung, in die Öffentlichkeit einmischt, dann kann man diese Menschen „zurückholen“. Was ist das: Schlaues politisches Kalkül oder dämliche Sozialforschung?

Das ist so schlicht aus dem politischen Steckkasten gedacht, dass es weder zu einer brauchbaren These zur jüngeren Bewusstseinsentwicklung der „Abgehängten“ noch als Grundlage für eine politische Strategie taugt. Mit dieser Art Positionsbestimmunge werden eher linksrechte Bündnisse, wie sie in einigen südeuropäischen Ländern bestehen, vorbereitet, als vielversprechende politische Perspektiven eröffnet.

Ansonsten siebt der Autor in seinem ZEIT-Artikel noch einmal alles heraus, was seine publizistischen Aktivitäten in der letzten Zeit so abgesondert haben. Larry Summers „verantwortungsvoller Nationalismus“ kommt erneut zu Ehren, der geradezu manische Merkel-Hass überschattet als Zentralidee fast alles andere, und die EU wird zum zigsten Mal als „Liberalisierungsverfestigungsmaschine“ verfratzt. Getoppt wird diese Mischung nur noch durch den verschwörungstheoretischen Wahn, den der Artikel Satz für Satz ausschwitzt. Das allein ist schon von beachtlichem Übel, tatsächlich steckt hinter all diesen ideologischen Verbalkungen aber noch etwas anderes, und das macht die Sache um Person und Position noch fataler. Wir kommen gleich darauf zurück.

Vorher aber noch ein kleiner Spaziergang auf ein Nebengelände. Hier befindet sich das Gebäude des Kölner Max-Planck-Instituts für Sozialforschung. In diesem Institut wurden in den letzten Jahren intensive europafeindliche Studien betrieben, ein ums andere Mal publizierten die Wissenschaftler des Instituts Analysen zur neoliberalen EU und zur notwendigen Auflösung der Währungsunion. Eine um die andere Abstrusität erblickte in den Analysen das Weltenlicht: Der Wechselkurs war nicht mehr eine Loser-Strategie für von der Abwertung bedrohte Länder, sondern stieg auf zum zentralen wirtschaftspolitischen Gestaltungsinstrument für den Aufholprozess ökonomischer Rückständigkeit, die deutschen Exportüberschüsse wurden mit einem Hinweis auf das Grundgesetz ins Sakrosankte überhöht, und die EU sah sich als Wiedergänger einer Hayekschen Versuchsanordnung. Auf dem Höhepunkt wurde sie als „neoliberal-supranationaler Leviathan“ karikiert. Warum hat diesen „Europaforschern“ noch niemand gesagt, dass es sich bei der Supranationalität nicht um eine reale politische Kategorie handelt, sondern um eine Erfindung, eine Phantasmagorie, die sich zu nichts anderem eignet, als die allereinfältigste Eurofeindlichkeit unter die Leute zu bringen?

Bei der Lektüre eines solchen offensichtlichen Unfugs, den die Wissenschaftler zutage förderten, fragte man sich immer wieder, woher haben sie ihre Unkenntnis und ihr Unwissen bezogen. Waren die Politik- und Sozialforscher zu sehr mit der Aneignung des Ökonomischen beschäftigt, so dass sie die Geschichts- und Integrationsforschung nicht mehr bewältigen konnten? Man weiß es nicht. Im Nachhinein, seit der Flüchtlingskrise, offenbart sich jedenfalls: All die Verteufelungen Europas entstanden aus einer Sorge, aus der Sorge um den „verantwortungsvollen Nationalismus“. Da die Forscher früher schon den „verantwortungsvollen Nationalismus“ oder die „nationalistische Verantwortung“ erspürten, kamen sie auf die Idee, immer wieder Rückbaupläne für Europa, nationale Wirtschaftsstrategien und überhaupt die Wiederaufwertung des Nationalstaats zu empfehlen. Es war nicht das bessere makroökonomische Argument, sondern das nationale Sentiment.

Zurück zur politischen Gegenwart. Wäre die Idee, eine linke fremdenfeindliche und europafeindliche Bewegung bzw. Partei zu gründen nur eine Idee, könnte man den Aktivisten entgegenhalten, dass es eine schlechte Idee, eine nicht aufgehende politische Strategie ist, denn es hat noch nie etwas gebracht, Vorurteil, Antihumanismus und Romantik mit exponentiellem Vorurteil, Antihumanismus und Romantik zu bekämpfen. Gegen Vorurteil, Antihumanismus und Romantik hilft nur Aufklärung. Das ist zwar mühsam, aber alleine hilfreich.

Bei Streeck handelt es sich aber nicht nur um eine missratene Idee, die in einer missratenen politischen Konsequenz mündet, die Links-AfD entspricht offensichtlich seiner Überzeugung. Er ist selbst ein romantischer Nationalist mit allen Konsequenzen. Als Sozialforscher hat er, wie wir gleich sehen werden, bestimmte Ideen von der nationalen Gesellschaft und ihrer Zusammensetzung, die er durch Einwanderung, Flüchtlinge und Asylsuchende bedroht sieht. Es bleibt nicht bei dem einfachen Nationalismus und der einfachen Europafeindlichkeit, Streeck zieht die Schraube noch etwas fester. Wir zitieren ein wenig ausführlicher aus einem Aufsatz für die London Review of Books (Band 38, Nr. 7, 31. März 2016) mit dem Titel „Last Exit: Desaster“ (die Übersetzung ins Deutsche kann hier nachgelesen werden:

http://pubman.mpdl.mpg.de/pubman/item/escidoc:2316582/component/escidoc:2316580/mpifg_zs16_1207.pdf):

„Die dem Merkel-Sprech eigene Zweideutigkeit, seine unentwirrbare Vermengung von Eigeninteresse und Sentimentalität hinterlassen ein politisches und institutionelles Trümmerfeld. Was wir sehen, ist das Ergebnis einer deutschen Innenpolitik, die hoch volatil und unberechenbar geworden ist und die europäischen Institutionen als Transmissionsriemen benützt, um anderen Staaten Europas deutsche Politik zu diktieren, die als europäische ausgegeben wird. Und zu der es, angeblich, keine Alternative gibt! Dazu gehört eine neue Zusammensetzung der Bevölkerung nicht nur in Deutschland, wo diese mehr oder weniger erwünscht oder gar wirtschaftlich geboten sein mag, sondern auch in Staaten wie der Tschechischen Republik, wo sie entschieden unerwünscht ist. Die deutsche Version ‚europäischer Solidarität‘ bedeutet dabei, dass die EU-Mitgliedsstaaten ihre Souveränität an Brüssel abgeben müssen, und das heißt letztlich: an Deutschland. Ergebnis wäre eine Umstrukturierung der Bevölkerung der Mitgliedsstaaten durch Einwanderung, im Namen der Menschenrechte und europäischer ‚Werte‘, wobei Widerstand mit Kürzung von Subventionen bestraft werden soll. Konsequenz ist eine schnell wachsende anti-deutsche Stimmung, die sich als anti-europäische ausdrückt, und zwar nicht nur bei den Eliten, sondern noch erheblich wirksamer bei den Wählern. Die deutsche Regierung setzt dagegen ihre politische und wirtschaftliche Macht ein, in dem Glauben, dass das notwendig und geeignet sei, um ‚Europa‘, genauer: das von ihr organisierte ‚geeinte‘, in Wahrheit immer weiter auseinanderfallende ‚Europa‘, vor dem endgültigen Zusammenbruch zu bewahren.“

 

Gäbe es ein politisches Ratespiel über die Autorenschaft von Zitaten, wäre ein solcher Passus par excellence geeignet. In keiner Nische der gezierten Sätze versteckt sich hier mehr ein Hinweis auf einen „linken“ Autor. Im Gegenteil. Das Ratespiel führte konsequent zu einem dem Rassismus verpflichteten Autor. Das von dunklen Mächten (UN, EU-Kommission, hier: Merkel) geplante groß angelegte Programm des Bevölkerungsaustauschs in Europa gehört seit einigen Jahren zum Standardrepertoire rechtsradikaler Erzähler. Die Kritik am verschwörungstheoretischen Original kann hier nachgelesen werden:

https://uebermedien.de/24904/matthias-matussek-enthuellt-selbst-erfundenen-skandal-der-fluechtlingspolitik/

Einmal abgesehen vom dem lästigen verschwörungstheoretischen Gehabe und den absurden Konnotationen zu Europa – in der zitierten Passage springt die Katze aus dem Sack: Streecks Thema und seine Unruhe rühren von der „Umstrukturierung der Bevölkerung der Mitgliedstaaten durch Einwanderung“ her. Das ist, kaum mehr bemäntelt, der Übergang zum Völkischen und allen damit zusammenhängenden Implikationen. Wer mit dieser Kategorie arbeitet, ist im Hauptgebäude des Rassismus angekommen. Streeck wäre nicht der erste und ist mutmaßlich nicht der letzte, der auf die alten Tage noch den Ruf hört.

 

Neues vom Niedergang der Sozialdemokratie II Sozialdemokraten entdecken eine neue Herzensangelegenheit: Die Nation. Ein Büchlein eines Sozialdemokraten, das wirklich so heißt: „Lob der Nation. Warum wir den Nationalstaat nicht den Rechtspopulisten überlassen dürfen“

Man darf viele Dinge nicht den Rechtspopulisten überlassen. Die Arbeiterklasse, den Rassismus, die Menschenfeindlichkeit. Wenn man die Dinge zurückholt, dann wird’s besser. Das trifft nicht einmal die Schreibhaltung des Autors, der an prominenter Stelle der Sozialdemokratie agiert (Leiter des Referats Internationale Politikanalyse der Friedrich-Ebert-Stiftung). Es ist noch schlimmer: Nicht ganz einen halben Meter südöstlich des Denkzentrums hat der Autor offensichtlich körperliche Sensationen, wenn es um die Nation geht. Und denen will er nachgehen.

Wer banale Tautologien oder tautologische Banalitäten, die sonst nur am Stammtisch mit erheblicher Alkoholeinwirkung durchgehen, ausspricht – in der letzten Zeit: „Wir können nicht allen helfen“ –, will bekanntlich durch den vermeintlichen Tabubruch ein verschämtes Bekenntnis abliefern, das in Klarsprache nicht ausgesprochen werden kann oder soll. Das Bekenntnis lautet: Jawohl, ich bin einer von euch. War es im gerade erwähnten Fall ein Grüner, der sich den Rechtsradikalen andiente, ist es in dem Bändchen „Lob der Nation. Warum wir den Nationalstaat nicht den Rechtspopulisten überlassen dürfen“ ein sozialdemokratischer Bildungspolitiker, den es zu den Rechtsradikalen zieht. Es drängt ihn, „Ein linkes Lob der Nation“ – so lautet das Schlusskapitel – anzustimmen. Das Loblied trägt er in drei Strophen, „Migration“, „Europa“ (darum soll es im Folgenden gehen) und „Globalisierung“, vor, ein Teil peinlicher als der andere.

Der Autor hat zweifelsfrei fleißig studiert, jedenfalls kann er die übliche Hauptseminar-Literatur zu den Themen „Nationalstaat“, „Europa“ und „Internationales System“ referieren. Er hat auch einen Standpunkt: Er ist progressiv. Und er hat einen Feind: Orchideen-Europäer wie Ulrike Guérot und Robert Menasse. Er hat beim Studium auch gelernt, wie man abstrahiert: Sozialstaat, Wohlfahrtsstaat, demokratischer Staat usw. usf. alles fliegt bei ihm in einen Topf und wird – zur Nation. Und der soll dann gehuldigt werden.

Ausgangspunkt ist dem Autor der Horror vor dem „europäischen Superstaat“ (S. 64) und die Angst vor der „Zerschlagung des Nationalstaats“ (S. 63). Das steht nicht in einem Pamphlet einer schlagenden Verbindung, sondern in einem Essay eines sozialdemokratischen Funktionärs, herausgegeben in einem sozialdemokratischen Verlag. „Aber brauchen wir .. tatsächlich überall mehr Europa? Muss der Nationalstaat wirklich überall den Weg freimachen für ‚europäische‘ Lösungen? In weiten Teilen der deutschen politischen Klasse zumindest gilt genau das als Konsens“ (S. 40). Man glaubt es kaum: Der Autor wähnt „Fürsprecher einer paneuropäischen Umerziehung der europäischen Völker in Richtung auf ein europäisches Bewusstsein“ (S. 59) am Werk. Eigentlich würde man solche völkischen Fata-Morgana-Sätze eher in AfD-Reden vermuten.

So ziemlich alles, was in rechtsradikalen Kreisen und europakritischen Politologenseminaren an antieuropäischem Ressentiment herumgereicht wird, sammelt der Autor auf. Noch die dümmsten Scheinbefunde werden vorgetragen, man glaubt es nicht. Hier eine Auswahl:

  • Mit den rechtsradikal-neoliberalen Ökonomen, die später bei der AfD gelandet sind, führt er das ebenso rechtsradikal kontextualisierte „Argument“ an, die europäische Währungsunion sei kein „optimaler Währungsraum“ (S. 50). Konsequenterweise macht er sich stark für ein „flexibles Europa“ durch Auflösung der Währungsunion in einen Nord- und einen Südblock (S. 67).
  • Fassungslos liest man: „Das real existierende europäische Projekt wurde nicht von Linken, sondern von konservativen Kräften aus der Taufe gehoben“ (S. 45). Und: „Die wirtschaftsliberale DNA aber ist heute kaum noch aus dem europäischen Projekt herauszufiltern“ (S. 46). Warum er dann nicht die Auflösung der Europäischen Union fordert, bleibt sein Geheimnis.
  • Der ganze Müll aus der national-sozialdemokratischen Ecke (Streeck, Scharpf) mit der EU als „Liberalisierungsmaschine“ (S. 48) und der „negativen Integration“ (S. 46) wird beipflichtend referiert.
  • Bei der Eurorettung phantasiert er sich eine „Machtfülle“ (S. 52) der europäischen Institutionen zusammen und eine „Entmachtung … nationaler Parlamente“ (S. 53).
  • Fehlen darf natürlich auch nicht der Hinweis auf das „Demokratiedefizit“ in der EU (S. 55) und das „Fehlen eines europäischen Demos“ (S. 58). Demokratisierung und Parlamentarisierung der EU – z.B. durch Ausweitung der Mehrheitsentscheidungen – laufe notwendig auf eine Bedrohung der nationalen Demokratie hinaus (S. 61).

Aus alledem ergibt sich: „mehr Nationalstaat .. wagen“ (S. 68)

Wo kommt all das Ressentiment, das Vorurteil, das Eifern gegen Europa her? Man könnte dem Referatsleiter Internationale Politikanalyse in der FES mit Fortbildung weiterhelfen. Er ist tatsächlich mit dem Thema der europäischen Integration – milde formuliert – wenig vertraut. Ansonsten ginge er von einem fundamentalen Axiom aus, das seine ganze Anbiederei an den Nationalstaat von vorneherein obsolet machte, dem Axiom nämlich, dass es Nationalstaaten waren, die Europa zum Behufe der eigenen Macht- und Interessensicherung erfunden haben. Es waren die gleichen Nationalstaaten, die dafür gesorgt haben, dass dieses Europa kleinblieb und wenig substantielle Macht erhielt. Und es sind Nationalstaaten, die unter sich – intergouvernemental – die Eurorettung organisieren, wobei einem Parlament ganz außerordentliche Macht zukommt, dem Bundestag, der jede Rechnung des ESM genehmigen muss. Und integrationsgeschichtlich: Es war nicht ein neoliberaler Deus ex Machina, der das Integrationsprojekt initiierte, sondern es waren wieder zu Macht gekommene Nationalstaaten, die sich in ihrer Kooperation immer nur auf die kleinsten Nenner einigten. Deshalb der „neoliberale Einstieg“. Statt die von ihm herangezogenen ausgefransten politologischen Schablonen zu bemühen, sollte der Verfasser die europäischen Prozesse präzise beobachten und analysieren. Er könnte dann – mit Anstrengung – erkennen, dass sich vor unser aller Augen ein nationalstaatlich geprägter Europäisierungsprozess vollzieht und kein supranational inszenierter heimtückischer Angriff auf den Nationalstaat. Das zu erkennen verhindert aber bei diesem Autor, wie bei allen anderen, die den Nationalstaat loben wollen, eine Sensation nicht ganz einen halben Meter südöstlich des Denkapparats.

Der neue Minimalismus bei der Reform der Eurozone. Das wird 2018 maximal kommen

„Frage: Wie werden die Franzosen reagieren, sollte es für die Euro-Zone weder ein Budget noch einen Finanzminister geben?

Antwort: Wir konzentrieren uns nicht auf den Finanzminister und das Budget. Das sind Langfristziele. Wenn Deutschland und Frankreich bis Ende 20^18 ihre Steuersysteme angleichen, wenn wir uns auf die Besteuerung der Digitalkonzerne einigen und Fortschritte bei der Bankenunion machen, erkennen die Franzosen, dass es vorangeht. Es wäre sehr gefährlich, wenn wir vor den Wahlen zum EU-Parlament 2019 keine Entscheidungen träfen.“

Bruno Le Maire, Finanzminister von Frankreich in einem Interview mit der Wirtschaftswoche, 23. März 2018

Dokumentation

WAS WÜRDE EIN EUROPÄISCHER FINANZMINISTER TUN? EIN VORSCHLAG Henrik Enderlein | Direktor des Jacques Delors Instituts – Berlin Jörg Haas | Wissenschaftlicher Mitarbeiter des Jacques Delors Instituts – Berlin

Broschüre zur Rede Junckers zur Lage der Union 2017

Der Bericht der fünf Präsidenten: Die Wirtschafts- und Währungsunion Europas vollenden

Initiative für Europa – Die Rede von Staatspräsident Macron im Wortlaut

Vorschlag für eine RICHTLINIE DES RATES zum gemeinsamen System einer Digitalsteuer auf Erträge aus der Erbringung bestimmter digitaler Dienstleistungen

Vorschlag für eine Verordnung des Rates über die Einrichtung des Europäischen Währungsfonds

 

Europäische Währungsintegration

PolsterDiss
Die theoretisch und historisch angelegte Untersuchung zeichnet auf der Basis eines sachlogischen Stadienmodells die Währungsintegration in Europa von einem Ausgangspunkt der Autarkie bis zur Einrichtung einer Währungsunion nach. Historisch ist damit der Zeitraum von 1945 bis 1992 erfasst. Die einzelnen Stadien sind: die Zahlungsunion, die Wechselkursordnung, das Währungssystem und die Währungsunion. Es zeigt sich, dass die Geschichte des monetären Integrationsprozesses in Europa weitgehend den modellartigen Stufen folgt – mit einer Ausnahme: der Übergang in die Währungsunion wurde 1992 mit dem Maastrichter Vertrag ohne das intermediäre Stadium eines Währungssystems vollzogen. Der wirtschaftspolitische Stellenwert eines Währungssystems mit einem Europäischen Währungsfonds (EWF) als institutionellem Zentrum hätte der Aufgabe nachkommen müssen, wirtschaftliche und wirtschaftspolitische Konvergenz zwischen den einzelnen Teilnehmerstaaten zu produzieren. Ohne dieses Vermittlungsstadium werden alle dort nicht angegangenen Aufgaben in die Währungsunion verlagert, die dadurch erheblichen Spannungen ausgesetzt sein wird.
Werner Polster, Europäische Währungsintegration. Von der Zahlungsunion zur Währungsunion, Metropolis-Verlag, Marburg 2002.
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