Fremdenfeindlichkeit und Ausländerhass hat Colin Crouch in der ZEIT (Nr. 34/2018) dem – wie gelegentlich zu lesen war – „Cheftheoretiker“ der Aufstehen-Bewegung Sahra Wagenknechts vorgeworfen. In der jüngsten Ausgabe (Nr. 36/2018) antwortet Wolfgang Streeck. Und die Antwort fällt kokett aus, weil der Antwortende keinen Hehl daraus macht, dass er genau das, was Crouch ihm vorwirft, auch ist. Ein Fremdenfeind und Ausländerfeind. Da helfen auch ein paar sophistische Fragen am Anfang des Artikels nicht weiter.
Eine dieser Pseudofragen geht so: „Ist Fremdenfeind, wer Einwanderer als Konkurrenten um Arbeits-, Kita- und Wohnplätze erlebt und deshalb Einwanderung begrenzt sehen will?“ Das wird man als Linker ja mal fragen dürfen. Der Habitus kommt einem bekannt vor, die Dämme sind ja auch schon anderswo gebrochen. Ersichtlicherweise eine Scheinfrage. Eigentlich sollte man auf Sophistereien nicht antworten, aber diese Frage lädt geradezu ein zur Antwort. Natürlich ist der von Streeck Zitierte kein Fremdenfeind, sondern ein Menschenfreund, dem es nur ein wenig an Empathie fehlt oder an Grips, rational über den Sachverhalt nachzudenken. Oder er ist einfach nur wütend, aber über was? Oder gibt es den Menschen am Ende gar nicht und er ist eine reine Erfindung Streecks?
Was aber sagt Streecks Frage und die Antwort, auf die er hinauswill, über die dahintersteckende Vorstellung – oder gar die Theorie aus der Sozialforschung, schließlich war Streeck ja einmal Direktor des Max-Planck-Instituts für Gesellschaftsforschung – über die Bewusstseinsentwicklung aus?
Die geht in etwa so: Der Mensch, von dem hier die Rede ist, hat 2015 die fremdenfreundliche Politik Merkels registriert und geahnt, was dahintersteckt: für neoliberalen Wind soll am Arbeits-, am Bildungs- und am Wohnungsmarkt gesorgt werden. Das gefällt mir nicht, sagt er sich, ich wähle jetzt AfD, weil deren sympathische Politiker ja ein gutes Angebot für den Arbeitsmarkt, den Bildungsmarkt und den Wohnungsmarkt haben. Und vor allem: die sind auch gegen Ausländer, so wie ich, und wenn die Ausländer weg sind, wird es wieder wie vor 2015, alles wird besser. Und wenn die AfD die Macht ergreift, wird sowieso alles besser. Die bauen dann ein Mauer rund um Deutschland, keiner kommt mehr rein, dass ich nicht mehr in Urlaub fahren kann, ist nicht so schlimm. Ungefähr an dieser Stelle setzt Streecks politisches Kalkül an. Wenn man jetzt eine kleine Portion linke Fremdenfeindlichkeit, so die Überlegung, in die Öffentlichkeit einmischt, dann kann man diese Menschen „zurückholen“. Was ist das: Schlaues politisches Kalkül oder dämliche Sozialforschung?
Das ist so schlicht aus dem politischen Steckkasten gedacht, dass es weder zu einer brauchbaren These zur jüngeren Bewusstseinsentwicklung der „Abgehängten“ noch als Grundlage für eine politische Strategie taugt. Mit dieser Art Positionsbestimmunge werden eher linksrechte Bündnisse, wie sie in einigen südeuropäischen Ländern bestehen, vorbereitet, als vielversprechende politische Perspektiven eröffnet.
Ansonsten siebt der Autor in seinem ZEIT-Artikel noch einmal alles heraus, was seine publizistischen Aktivitäten in der letzten Zeit so abgesondert haben. Larry Summers „verantwortungsvoller Nationalismus“ kommt erneut zu Ehren, der geradezu manische Merkel-Hass überschattet als Zentralidee fast alles andere, und die EU wird zum zigsten Mal als „Liberalisierungsverfestigungsmaschine“ verfratzt. Getoppt wird diese Mischung nur noch durch den verschwörungstheoretischen Wahn, den der Artikel Satz für Satz ausschwitzt. Das allein ist schon von beachtlichem Übel, tatsächlich steckt hinter all diesen ideologischen Verbalkungen aber noch etwas anderes, und das macht die Sache um Person und Position noch fataler. Wir kommen gleich darauf zurück.
Vorher aber noch ein kleiner Spaziergang auf ein Nebengelände. Hier befindet sich das Gebäude des Kölner Max-Planck-Instituts für Sozialforschung. In diesem Institut wurden in den letzten Jahren intensive europafeindliche Studien betrieben, ein ums andere Mal publizierten die Wissenschaftler des Instituts Analysen zur neoliberalen EU und zur notwendigen Auflösung der Währungsunion. Eine um die andere Abstrusität erblickte in den Analysen das Weltenlicht: Der Wechselkurs war nicht mehr eine Loser-Strategie für von der Abwertung bedrohte Länder, sondern stieg auf zum zentralen wirtschaftspolitischen Gestaltungsinstrument für den Aufholprozess ökonomischer Rückständigkeit, die deutschen Exportüberschüsse wurden mit einem Hinweis auf das Grundgesetz ins Sakrosankte überhöht, und die EU sah sich als Wiedergänger einer Hayekschen Versuchsanordnung. Auf dem Höhepunkt wurde sie als „neoliberal-supranationaler Leviathan“ karikiert. Warum hat diesen „Europaforschern“ noch niemand gesagt, dass es sich bei der Supranationalität nicht um eine reale politische Kategorie handelt, sondern um eine Erfindung, eine Phantasmagorie, die sich zu nichts anderem eignet, als die allereinfältigste Eurofeindlichkeit unter die Leute zu bringen?
Bei der Lektüre eines solchen offensichtlichen Unfugs, den die Wissenschaftler zutage förderten, fragte man sich immer wieder, woher haben sie ihre Unkenntnis und ihr Unwissen bezogen. Waren die Politik- und Sozialforscher zu sehr mit der Aneignung des Ökonomischen beschäftigt, so dass sie die Geschichts- und Integrationsforschung nicht mehr bewältigen konnten? Man weiß es nicht. Im Nachhinein, seit der Flüchtlingskrise, offenbart sich jedenfalls: All die Verteufelungen Europas entstanden aus einer Sorge, aus der Sorge um den „verantwortungsvollen Nationalismus“. Da die Forscher früher schon den „verantwortungsvollen Nationalismus“ oder die „nationalistische Verantwortung“ erspürten, kamen sie auf die Idee, immer wieder Rückbaupläne für Europa, nationale Wirtschaftsstrategien und überhaupt die Wiederaufwertung des Nationalstaats zu empfehlen. Es war nicht das bessere makroökonomische Argument, sondern das nationale Sentiment.
Zurück zur politischen Gegenwart. Wäre die Idee, eine linke fremdenfeindliche und europafeindliche Bewegung bzw. Partei zu gründen nur eine Idee, könnte man den Aktivisten entgegenhalten, dass es eine schlechte Idee, eine nicht aufgehende politische Strategie ist, denn es hat noch nie etwas gebracht, Vorurteil, Antihumanismus und Romantik mit exponentiellem Vorurteil, Antihumanismus und Romantik zu bekämpfen. Gegen Vorurteil, Antihumanismus und Romantik hilft nur Aufklärung. Das ist zwar mühsam, aber alleine hilfreich.
Bei Streeck handelt es sich aber nicht nur um eine missratene Idee, die in einer missratenen politischen Konsequenz mündet, die Links-AfD entspricht offensichtlich seiner Überzeugung. Er ist selbst ein romantischer Nationalist mit allen Konsequenzen. Als Sozialforscher hat er, wie wir gleich sehen werden, bestimmte Ideen von der nationalen Gesellschaft und ihrer Zusammensetzung, die er durch Einwanderung, Flüchtlinge und Asylsuchende bedroht sieht. Es bleibt nicht bei dem einfachen Nationalismus und der einfachen Europafeindlichkeit, Streeck zieht die Schraube noch etwas fester. Wir zitieren ein wenig ausführlicher aus einem Aufsatz für die London Review of Books (Band 38, Nr. 7, 31. März 2016) mit dem Titel „Last Exit: Desaster“ (die Übersetzung ins Deutsche kann hier nachgelesen werden:
http://pubman.mpdl.mpg.de/pubman/item/escidoc:2316582/component/escidoc:2316580/mpifg_zs16_1207.pdf):
„Die dem Merkel-Sprech eigene Zweideutigkeit, seine unentwirrbare Vermengung von Eigeninteresse und Sentimentalität hinterlassen ein politisches und institutionelles Trümmerfeld. Was wir sehen, ist das Ergebnis einer deutschen Innenpolitik, die hoch volatil und unberechenbar geworden ist und die europäischen Institutionen als Transmissionsriemen benützt, um anderen Staaten Europas deutsche Politik zu diktieren, die als europäische ausgegeben wird. Und zu der es, angeblich, keine Alternative gibt! Dazu gehört eine neue Zusammensetzung der Bevölkerung nicht nur in Deutschland, wo diese mehr oder weniger erwünscht oder gar wirtschaftlich geboten sein mag, sondern auch in Staaten wie der Tschechischen Republik, wo sie entschieden unerwünscht ist. Die deutsche Version ‚europäischer Solidarität‘ bedeutet dabei, dass die EU-Mitgliedsstaaten ihre Souveränität an Brüssel abgeben müssen, und das heißt letztlich: an Deutschland. Ergebnis wäre eine Umstrukturierung der Bevölkerung der Mitgliedsstaaten durch Einwanderung, im Namen der Menschenrechte und europäischer ‚Werte‘, wobei Widerstand mit Kürzung von Subventionen bestraft werden soll. Konsequenz ist eine schnell wachsende anti-deutsche Stimmung, die sich als anti-europäische ausdrückt, und zwar nicht nur bei den Eliten, sondern noch erheblich wirksamer bei den Wählern. Die deutsche Regierung setzt dagegen ihre politische und wirtschaftliche Macht ein, in dem Glauben, dass das notwendig und geeignet sei, um ‚Europa‘, genauer: das von ihr organisierte ‚geeinte‘, in Wahrheit immer weiter auseinanderfallende ‚Europa‘, vor dem endgültigen Zusammenbruch zu bewahren.“
Gäbe es ein politisches Ratespiel über die Autorenschaft von Zitaten, wäre ein solcher Passus par excellence geeignet. In keiner Nische der gezierten Sätze versteckt sich hier mehr ein Hinweis auf einen „linken“ Autor. Im Gegenteil. Das Ratespiel führte konsequent zu einem dem Rassismus verpflichteten Autor. Das von dunklen Mächten (UN, EU-Kommission, hier: Merkel) geplante groß angelegte Programm des Bevölkerungsaustauschs in Europa gehört seit einigen Jahren zum Standardrepertoire rechtsradikaler Erzähler. Die Kritik am verschwörungstheoretischen Original kann hier nachgelesen werden:
Einmal abgesehen vom dem lästigen verschwörungstheoretischen Gehabe und den absurden Konnotationen zu Europa – in der zitierten Passage springt die Katze aus dem Sack: Streecks Thema und seine Unruhe rühren von der „Umstrukturierung der Bevölkerung der Mitgliedstaaten durch Einwanderung“ her. Das ist, kaum mehr bemäntelt, der Übergang zum Völkischen und allen damit zusammenhängenden Implikationen. Wer mit dieser Kategorie arbeitet, ist im Hauptgebäude des Rassismus angekommen. Streeck wäre nicht der erste und ist mutmaßlich nicht der letzte, der auf die alten Tage noch den Ruf hört.