Das Büchlein erhebt nicht den Anspruch einer wissenschaftlichen Analyse, sondern will lediglich einen „Überblick“ verschaffen, um als Lehrbuch an Universitäten eingesetzt zu werden. Die armen Studentinnen und Studenten. Das Büchlein ist, um es vorwegzunehmen, eine oberflächliche, sachlich mehr als oft falsche und peinliche Kompilation ohne jeden europäischen Bildungswert.
Hier eine Auswahl der Fehler: Das System von Bretton Woods habe, so die Autoren, den gegenseitigen grenzüberschreitenden Zahlungsverkehr geregelt (S. 35), was Unsinn ist, es war, Ende der fünfziger Jahre, die EZU. Einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen dem Werner-Plan (1970) und der Maastrichter Währungsunion (1992/2002), wie ihn die Autoren unterstellen (S. 84 f.), gibt es nicht. Das eine hat mit dem anderen förmlich nichts zu tun. Den Unterschied zwischen Ökonomisten und Monetaristen haben die Autoren nicht verstanden (S. 85), was sie dazu schreiben ist Kauderwelsch. Über den Maastrichter Vertrag hat man schon viel gelesen, ihn als „Fehlversuch“ (S. 142) zu kennzeichnen, ohne jeden Hinweis auf die komplexe Verhandlungssituation von 1990, ist zwar sportlich, aber mehr als abwegig, noch schlimmer die Formulierung, er stelle „einen Mittelweg zwischen Union und sektoraler Integration“ (S. 145) dar. Was die „kommunitäre EU“ (S. 173) ist, werden nur die Autoren wissen. Nicht einmal einfach zu recherchierende Zahlen stimmen: dass der ESM 1 Billion Euro „zur Verfügung“ (S. 205) hat, lässt sich durch einfaches Nachschlagen bei Wikipedia korrigieren. Dass die Schweiz ein „potenzieller Kandidat“ (S. 214) für die EU-Erweiterung (Redaktionsschluss: Dezember 2017!) ist, wird nicht nur die Schweizer überraschen.
Von der Eurokrise haben die Autoren nachgerade nichts verstanden. Hier schlägt die angestrebte sachliche Darstellung in interessierte Parteinahme um.
Beispiel: „Die jüngste Eurokrise und der Transfer von Milliarden Euro von Nord- nach Südeuropa ist eine Zerreißprobe für das Ideal der europäischen Solidarität“ (S. 16). Richtig ist: Es hat in der Eurokrise bislang keine Transfers gegeben. Es gab immer nur Kreditverhältnisse, die letztlich dazu geführt haben, dass die nördlichen Gläubigerstaaten in Gestalt von Zinserträgen (z.B. aus Griechenland-Krediten) und Niedrigzinsen der EZB von der Krise profitiert haben. Das gilt unter Absehung von dem griechischen Haircut von 2012, der aber auch kein Nord-Süd-Transfer war.
Ganz und gar gedankenlos plappern die Autoren nach, was der nordeuropäische Neoliberalismus an Desinformationen über die Eurokrise in die Welt gesetzt hat: „Die ‚No-bail-out‘-Klausel des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) beinhaltete ein Verbot, Mitgliedstaaten wegen Überschuldung zu retten“ (S. 205). Nichts davon steht in dem genannten Vertrag. Tatsächlich steht dort: „Die Union haftet nicht für Verbindlichkeiten der Zentralregierungen, der regionalen oder lokalen Gebietskörperschaften oder anderen öffentlich-rechtlichen Körperschaften, sonstiger Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder öffentlicher Unternehmen von Mitgliedstaaten und tritt nicht für derartige Verbindlichkeiten ein…“ Kein Wort von Verbot oder ähnlichem. Den Inhabern von Bonds wird in der Bestimmung lediglich signalisiert, dass sie im Falle von Finanzierungsschwierigkeiten eines Staates oder gar einer Insolvenz nicht damit rechnen können, dass die Union für den Ausfall aufkommt.
Weiter geht die haarsträubende Darstellung der Eurokrise mit der Behauptung, dass die EZB „gezwungen“ wurde, „den europäischen Banken günstige Kredite zu geben – eine indirekte Unterstützung für die Staaten in finanzieller Notlage“ (ebd.). Wer hat wann „gezwungen“? Wo ist der Beleg? Und wenn: Soll europäischen Staaten in Notlage nicht geholfen werden?
Die erste Gipfelhöhe an Unfug folgt auf dem Fuß: „Erst als Ende 2011 deutlich wurde, dass die beschlossenen Maßnahmen der EU das Vertrauen der Finanzmärkte und der Ratingagenturen nicht wieder herstellen konnten, endete der Europäische Rat von Brüssel im Dezember 2011 mit der feierlichen Verpflichtung von 26 Mitgliedstaaten, eine Fiskalunion zu schaffen, mit dem euroskeptischen Vereinigten Königreich als einzigem Verweigerer. Die Fiskalunion impliziert einen radikalen Eingriff in die nationale Souveränität bei Staatshaushalt und Fiskalpolitik. Alle Staaten würden einer strengen und umfassenden Kontrolle ihrer jährlichen Politik und Finanzen durch die Europäische Kommission unterliegen, und Sünder würden faktisch unter Brüsseler Kuratel gestellt werden. Ab dem 1. Januar 2013 wurde diese Fiskalunion eine Tatsache“ (S. 206). Nichts davon stimmt mit den Fakten überein. Was die Autoren meinen ist der sogenannte Fiskalpakt, der Begriff fällt allerdings nicht. Dieser Fiskalpakt – offiziell: „Vertrag über Stabilität, Koordinierung und Steuerung in der Wirtschafts- und Währungsunion“ – begründet keine Fiskalunion, sondern enthält einige, den so genannten Stabilitätspakt ergänzende Haushaltsregeln. Von einer Fiskalunion ist das Regelwerk meilenweit entfernt. Reinen Blödsinn stellt die Behauptung dar, „Sünder“ würden „faktisch unter Brüsseler Kuratel gestellt“. Tatsächlich ist es so, dass die Sanktionsmöglichkeiten der Kommission sehr begrenzt sind. Und am Ende, im Falle von Strafzahlungen, entscheidet nicht die Kommission, sondern der Ministerrat. Ansonsten: den Fiskalpakt hat nicht nur Großbritannien nicht unterschrieben, sondern auch Tschechien.
Die zweite Gipfelhöhe an Unfug, eher schon Peinlichkeit: Die Bürger in den wohlhabenderen Ländern des Nordens waren, so die Autoren, „verblüfft über das schiere Volumen an Finanztransfers im Umfang von mehreren Billionen und Garantien für die südlichen Mitgliedstaaten“ (S. 228). Wahrscheinlich meinen die Autoren Billionen Euro. Verblüfft waren aber nur sie. Die Wahrheit ist, wie oben bereits angedeutet: kein einziger Euro ist in der Krise von Norden nach Süden geflossen, der Transfer hatte – wundersames Phänomen – die umgekehrte Richtung.
Dergleichen Gemisch von sachlichen Fehlern und ideologischen Einfärbungen findet sich noch viel mehr.
All das lässt nur einen Schluss zu: Die Autoren legen sich die Karten so zurecht, dass eine nordeuropäisch-neoliberale Krisendeutung herauskommt. Schlimm, dass mit einem solchen Werk ideologischer Voreingenommenheit niederländische Student/inn/en in der Ausbildung konfrontiert werden. Schlimmer noch, dass die Bundeszentrale für politische Bildung ein solch blamables Werk auf den deutschsprachigen Markt bringt. Wer hat da nur kontrollgelesen?