Weidmann. Der ganze Wahlkampf der letzten Wochen war vergebens. – Warum die EZB keine normale Zentralbank ist, wie sie eine werden und die Target-2-Hysterie verschwinden könnte

 

Jetzt bleibt er doch einfacher Bundesbankpräsident, Jens Weidmann. Dabei hatte er die letzten Wochen doch europäische Kreide gefressen und gab sich ein ums andere Mal europafreundlich. Die Kanzlerin hat dem ein Ende bereitet und die institutionellen Ambitionen Deutschlands in eine andere Richtung geschraubt. Anderes war auch gar nicht denkbar. Eine solche Provokation in Europa wäre in der veränderten europäischen Wetterlage einer politischen Katastrophe gleichgekommen.

Dabei hatte sich der Bundesbank-Präsident durchaus angestrengt. Sogar der sinnfreien neoliberalen Target-2-Hysterie der letzten Wochen ist er – wenigstens in dem ihm möglichen Rahmen – entgegengetreten. In einem Interview der FASZ (19. August 2018) äußerte er sich wie folgt.

„Machen wir ein Gedankenexperiment: Nehmen wir an, wir hätten eine zentral bei der EZB verbuchte Geldpolitik. Wenn von morgen an die Liquiditätsbereitstellung nicht mehr über die nationalen Notenbanken, sondern über die EZB bilanziert würde, wären die Target-Salden verschwunden.“

Das Gedankenexperiment ist eine sehr sinnvolle Methode geistiger Arbeit. Auch dieses spezielle Gedankenexperiment ist sehr sinnvoll, es wird aber nicht ganz konsequent zum Ende geführt. Angesprochen wird nämlich nicht einfach ein Buchungsproblem der Geldpolitik, sondern die Struktur der EZB bzw. des Europäischen Systems der Zentralbanken (ESZB) überhaupt: Weil die EZB keine richtige Zentralbank ist, ausgestattet mit allen Mitteln der Macht und Stabilität, sondern eine (absichtsvoll?) geschwächte „künstliche“ Zentralbank, ergibt sich u.a. die vermeintliche Target-2-Problematik.

In der Struktur einer richtigen europäischen Zentralbank wären die nationalen Zentralbanken, so auch die Bundesbank, das, was in der Bundesrepublik früher Landeszentralbanken genannt wurde. Das waren reine Verwaltungseinheiten der Bundesbank, ohne jede Macht und Mitsprache. Da im ESZB die nationalen Zentralbanken aber tragende und mitsprechende Einheiten sind, ist in dieser Struktur ein Moment der Reversibilität der Währungsunion eingebaut. Und nur in diesem Zusammenhang, dem Zusammenhang der Auflösung der Währungsunion, machen ja die Angstmachereien der Neoliberalen zu den Traget-2-Salden Sinn.

In dieser Struktur drückt sich auch aus, dass in Maastricht keine Staat „Europa“ gegründet wurde, sondern eine Politische Union, ein Gebilde, das getragen wird von Nationalstaaten. Gleichwohl ließe sich darüber nachdenken, ob es nicht sinnvoll wäre, die EZB weiter in Richtung einer richtigen Zentralbank auszubauen. Dies würde ein Stück mehr Irreversibilität in die Währungsunion einbringen und sie stärker machen in der Zukunft, wenn es zu wirklichen „Bedrohungen“ durch die Finanzmärkte kommt. Denn: Die Große Finanzkrise von 2008 und die Eurokrise von 2010-12 stellten ja keine wirklichen Bedrohungen für die EZB und/oder die Währungsunion dar, im Gegenteil, die EZB bzw. ihr Präsident konnte mit einem Zauberwort („whaterever it takes“) das Geplänkel um die Ausreiser bei den Renditen für bestimmte Staatspapiere beseitigen.

Ein solcher Umbau der Struktur des ESZB, der einer Zentralisierung gleichkäme, hätte nicht nur die genannten Effekte. Er würde auch den jetzigen Anachronismus beseitigen, dass sich die EZB in der Konzeptionierung und Durchführung ihrer Politik mit einer dauerhaften und grenzwertigen hausinternen Opposition herumplagen muss. Die Bundesbank bzw. ihr Präsident betreiben seit Jahren eine Art hausinterne Kritik an der offiziellen Geldpolitik der EZB, ohne dass dies von irgendeiner Seite beanstandet würde. Dabei heißt es doch im Protokoll Nr. 4 über die Satzung des europäischen Systems der Zentralbanken und der Europäischen Zentralbank in Artikel 14.3:

„Die nationalen Zentralbanken sind integraler Bestandteil des ESZB und handeln gemäß den Leitlinien und Weisungen der EZB.“

Schleierhaft bleibt, wie sich diese Regel mit der Amtsführung der vergangenen Jahre des derzeitigen Bundesbankpräsidenten verträgt.

Wie dem auch sei. Wären die nationalen Zentralbanken nur noch „verwalterisch“ tätige Landeszentralbanken, lösten sich einige Fremdkörper der derzeitigen Währungsunion in Nichts auf, das sogenannte Target-2-Problem, die hausinterne Opposition und die Schwächung der EZB bzw. der Währungsunion.