Eigentlich wäre für die Bundestagsfraktion der SPD in dem Beschlusspapier zur Europapolitik ja mal Zeit und Platz gewesen – jenseits von Koalitionszwängen – eigene Noten und Nuancen zur Reform der Eurozone zu setzen. Da die SPD seit fast zwei Jahrzehnten mit in der Regierung sitzt – mit der Ausnahme von 2009-2013 –, hätte auch der Gedanke nahegelegen, einmal selbstkritisch über das nachzudenken, was man in Europa seit Beginn der Währungsunion mit gerichtet und angerichtet hat. Was liest man stattdessen? Einen faden Aufguss des Koalitionsvertrages plus ein wenig Beilagen à la Macron (Bankenunion, Finanzminister). Von eigenen gedanklichen Ansätzen oder gar Selbstkritik ist weit und breit nichts zu sehen.
Statt einmal gesamtwirtschaftliche Überlegungen darüber anzustellen, wie in einer Währungsunion ohne Wirtschaftsunion und ohne Tarifunion Kooperations- und Anpassungsregeln entwickelt werden können, fällt den Sozialdemokraten nichts anderes ein, als Absprachen über den Mindestlohn, Fortschritte beim Entsenderecht und einen Ausbau der Europäischen Säule sozialer Rechte zu fordern. Höchst elegant wird um den Kern des Problems, die Lohnpolitik und die innere Nachfrage- und Investitionsschwäche, herumlaviert.
Man hält fest: „Es muss verhindert werden, dass alleine die Lohnpolitiken als Anpassungsinstrument dienen.“ Dann kommt der Hinweis auf „Stärkung der sozialen Dimension“. Es stellen sich Fragen: Was soll außer der Lohnpolitik noch als „Anpassungsinstrument“ dienen? Gemeint sind wohl die schwächeren Staaten. Aber warum müssen sich die „schwachen“ Staaten mit ihren Volkswirtschaften anpassen? Warum kann sich nicht das Führungsland in der Währungsunion, welches das Lohndumping unter sozialdemokratischer Führung erst begonnen hat, anpassen? Man erinnert sich in diesem Zusammenhang an Keynes.
Höchst elegant umschifft die SPD-Fraktion auch die Überschussproblematik. Wie? Man erwähnt sie einfach nicht. Das klammheimliche Bündnis der Sozialdemokratie mit dem Neoliberalismus in dieser Frage ist unübersehbar. Die Neoliberalen rechtfertigen den Überschuss mit Sprüchen über deutsche Qualität und den Hinweis auf die anonymen, nicht steuerbaren unzähligen Marktentscheidungen, die Sozialdemokraten lassen das Thema ruhen, weil – vermeintlich – die Interessen ihrer Kernwählerschaft berührt sind. Wann fängt die deutsche Sozialdemokratie an, europäisch zu denken?