Die eigenartige Angst der Neoliberalen vor einer Verankerung des EWF im Europarecht

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Otmar Issings Aufsatz („Deutschland und Europa“, FAZ, 26.01.2018), der sich mit der aktuellen Debatte um die Zukunft der Währungsunion befasst, enthält zwei falsche Behauptungen. Die optimistische Erklärung dafür lautet, dass Issing den Text nicht kannte, auf den er sich sinnvollerweise hätte beziehen sollen, wenn er sich über die Planungen, den Europäischen Stabilisierungsmechanismus (ESM) in einen Europäischen Währungsfonds (EWF) umzuwandeln, auslässt.

Die beiden Aussagen, um die es hier geht, lauten: „Nun beansprucht die Kommission, die Verfügung über diesen Fonds (des ESM, d.Verf.) aus der Verantwortung der nationalen Regierungen zu nehmen und auf sich zu übertragen.“ Und weiter: „Das (die Weiterentwicklung des ESM zu einem EWF, d.Verf.) ist die Aufgabe einer lange Zeit verteidigten deutschen Position und bedeutet nichts weniger, als die Ausstattung des Fonds und die Verfügung über seine Mittel einer politischen Mehrheit auszuliefern, deren Phantasie über die Finanzierung immer neuer Projekte keine Grenzen gesetzt sind.“

Der Text, auf den sich Issing mit seinen waghalsigen Thesen beziehen sollte, ist der „Vorschlag für eine Verordnung des Rates über die Einrichtung des Europäischen Währungsfonds“, recht einfach im Netzt zu finden (vgl. hier). Der Text lehnt sich eng an die Formulierungen des entsprechenden Textes zum ESM an. Er wurde am 6. Dezember 2017 veröffentlicht.

Issings Formulierung „nun“ zu Beginn der ersten These deutet an, dass der Verfasser von dem Verordnungsentwurf weiß. Der Begriff Fonds bezieht sich auf das Kapital, über das der ESM (später der EWF) verfügt, um in Finanzierungsnöten steckenden Staaten unter die Arme zu greifen (700 Mrd. EUR). Dass die Kommission – die dem EWF lange Zeit überhaupt nichts abgewinnen konnte, weil er den eigenen Plänen (Fiskalkapazität, Finanzminister usw.) zuwider zu laufen schien – beabsichtige, diesen Fonds auf sich zu „übertragen“, ist eine reine „Erfindung“ Issings.

Im Text des Verordnungsentwurfs steht, dass sich an den Zielen des EWF nichts ändert (Artikel 3). Die wesentlichen Beschlüsse sollen nach dem Vetoprinzip erfolgen (Artikel 4, 5). Das Entscheidungszentrum des EWF, der Gouverneursrat, würde weiter durch die Finanzminister bestückt (Artikel 5). Die Haftungsgrenze bliebe auf das Stammkapital der Teilnehmerstaaten begrenzt (Artikel 8). Die Instrumente der Stabilitätshilfe sind die gleichen wie im ESM (Artikel 14 bis 19). Das einzig wesentlich Neue in dem Verordnungsentwurf stellt die „Verlinkung“ des EWF mit der Bankenunion dar, und zwar soll der SRB (Single Resolution Board, Bankenabwicklungsfonds, Artikel 22 bis 24) finanziell unterstützt werden (Garantien und Kreditlinien). Das ist in unserem Zusammenhang aber ein anderes Thema. Die Kommission wird in dem Text nur an wenigen Stellen erwähnt, z.B. bei der Überwachung der Anpassungsprogramme („Memoranda of Understanding“, Artikel 13) für die gestützten Länder, jedenfalls nicht in dem von Issing unterstellten Sinne.

Sträflich irreführend und in der Verallgemeinerung mehr als problematisch ist auch Issings These, die Mittel des alten ESM würden einer politischen Mehrheit „ausgeliefert“. Der EWF, so er denn kommt, bliebe ein durch und durch intergouvernemental agierendes Gremium, das übrigens den Parlamentsvorbehalt, der z.B. die Rechte des Bundestages sichert, einschließt. Die Verankerung im Unionsrecht, so auch die Formulierung im Sondierungspapier, bedeutet lediglich die Rechenschaftspflicht des Gremiums vor dem Europäischen Parlament. Auch das ist ordnungspolitisch wenig aufregend, selbst die unabhängige EZB unterliegt dieser Pflicht. Völlig unerfindlich ist daher, an welche Mehrheit die Fondsmittel „ausgeliefert“ werden sollten. Mehrheiten für eine andere Wirtschaftspolitik in der Eurogruppe entstehen nicht auf dem ordnungspolitischen Papier des Verordnungsentwurfs der Kommission. Einmal abgesehen von den Vetopositionen, über die die einzelnen Spieler in der Eurogruppe verfügen: Dass die Phalanx der sparsamen Nordstaaten (Deutschland, Niederlande, Belgien, Österreich, Finnland, die baltischen Staaten) durch einen sozialdemokratischen Finanzminister durchbrochen wird, ist doch sehr unwahrscheinlich.

Und dann hat Issing auch noch etwas vergessen. Der ESM funktioniert zwar intergouvernemental, er ist als solcher – schon vor seiner Weiterentwicklung zu einem EWF – Teil des (primären) Europarechts. Am 25.03.2011 beschloss der Europäische Rat im Wege des Artikel 48 EUV eine Veränderung des Artikels 136 AEUV. Dort wurde als Absatz 3 eingefügt:

„Die Mitgliedstaaten, deren Währung der Euro ist, können einen Stabilitätsmechanismus einrichten, der aktiviert wird, wenn dies unabdingbar ist, um die Stabilität des Euro-Währungsgebiets insgesamt zu wahren. Die Gewährung aller erforderlichen Finanzhilfen im Rahmen des Mechanismus wird strengen Auflagen unterliegen.“

Im Übrigen ist die aktuelle Aufregung um die Verwandlung des ESM in einen EWF auch insofern völlig unbegründet, als der Vorgang mit ausgesprochen großer Wahrscheinlichkeit nicht nach dem Artikel 352 AEUV, wie von der Kommission intendiert, vollzogen werden kann, also auf dem Verordnungswege. Eine so bedeutende Institution wie der EWF wird es wohl nur im Wege der Vertragsänderung geben. Und diese Perspektive gehört in einen ganz anderen Zeithorizont und lässt Zeit für konzentrierte Lektüre einschlägiger Texte.