Wie sich die Zeiten doch ähneln und auch wieder unterscheiden.
1968, in der Endphase der Bretton-Woods-Ordnung (und so mancher anderer Ordnung), wurde über eine Aufwertung der D-Mark gegenüber dem Dollar und weiteren Währungen spekuliert, national und international. Im Herbst des Jahres nahm der Druck auf die Bundesrepublik rasch zu. Der Exportüberschuss von zuletzt 15 Milliarden D-Mark jährlich – heute wäre das die Größenordnung von nicht einmal zwei Wochen (2016) – machte die Westdeutschen im Ausland immer unbeliebter. Der sich nach und nach liberalisierende Kapitalverkehr sorgte für reichlich Zustrom an Spekulationsgeldern. Der Bundeskanzler der seinerzeitigen Großen Koalition, Kurt Georg Kiesinger, ein Alt-Nazi, trachtete danach, eine Aufwertung mit allen Mitteln zu verhindern, er wolle lieber zurücktreten, als der Kanzler einer aufwertenden D-Mark sein. Wie heute wurden die Exportüberschüsse also mit Zähnen und Klauen verteidigt.
Als für den November des Jahres 1968 eine Währungskonferenz in Bonn anstand, mussten die Bonner Verantwortlichen etwas anbieten. Das ist der Unterschied zu heute: Damals musste man etwas anbieten, die langen Schatten der Geschichte trübten noch das wirtschaftliche Erfolgsmodell der Deutschen, heute reichen dummes Herumgequatsche, Rechtfertigungstiraden und absurde Behauptungen zum Thema „Überschüsse“. Was dachte man sich 1968 aus, gewissermaßen als kleineres Übel statt der Aufwertung?
Auf der Währungskonferenz (20.-22. November 1968) reüssierte man mit einem Kommuniqué, das
- eine vierprozentige Exportsteuer und
- eine vierprozentige Steuererleichterung auf Importe
verkündete. Die „Ersatzaufwertung“, so nannte es die Bundesbank damals, war befristet auf den 31. März 1970. Den Druck auf die Aufwertung der D-Mark konnte sie längerfristig jedoch nicht ableiten: Am 24. Oktober 1969, etwa ein Jahr später, verfügte die neue sozialliberale Koalition eine Aufwertung der D-Mark gegenüber dem Dollar von 8,5 Prozent.
Was vermittelt uns dieser Rückblick in das unruhige Jahr 1968?
Die klandestine Allianz von neoliberaler Wissenschaft, Gewerkschaften und Fast-Allparteien, die sich zum Fürsprecher des deutschen Wirtschaftsmodells der strotzenden Exporte und der ärmlichen Importe macht, muss heute keine Verteidigungsbarrikaden mehr gegen eine Aufwertung hochziehen. Im Euro und der Währungsunion profitiert die deutsche Exportwirtschaft von einer systemisch bedingten, dauerhaften Unterbewertung. Wie sonst auch sollte erklärt werden, dass gerade mit dem Beginn der Währungsunion die Explosion der deutschen Überschüsse eingesetzt hat?
Obwohl die deutschen Überschüsse fünfzig Jahre nach 1968 geradezu in absurde Höhen geschossen sind, gelingt es dem Ausland, auch dem EU- oder Eurozonen-Ausland nicht mehr, wirksamen Druck auf Deutschland aufzubauen. Die Kommission kann im Rahmen ihrer makroprudenziellen Überwachung Jahr für Jahr die deutschen Überschüsse inkriminieren – im Endeffekt verpuffen ihre Hinweise auf eine Stärkung der Binnennachfrage, höhere Investitionsausgaben und vernünftige Tarifabschlüsse.
Falls es ein wirkliches Interesse – sei es in der EU, sei es in der Eurozone – gibt, das deutsche Modell wirksam in eine andere Richtung zu bewegen – nicht nur in Reden (Macron), Beiträgen (Wissenschaft) und Empfehlungen (Kommission, IWF, OECD) –, dann wird den europäischen Partnern nichts anderes übrigbleiben, als die Grundlagen des deutschen Modells, das Modell des Staatenwettbewerbs, als solches rabiat zum Thema zu machen. Dass Integration im Handelsbereich ihren Ausgangspunkt genommen hat, lag daran, dass man sich auf diesem Gebiet verhältnismäßig schnell einigen konnte. Es bedeutete nicht, dass damit auch das Ende der Integration erreicht war und sich der gesamtwirtschaftliche Großraum Europa in einzelne nationale Parzellen auseinanderlegt, die über Lohnkonkurrenz und Sozialdumping in Wettbewerb zueinander stehen.
Vielleicht sollte angelegentlich des Jubiläumsjahres 1968 über all die schönen kulturellen Phänomene hinaus auch einmal an Exportsteuern und Importsubventionen erinnert werden.