DIE TRAUMWANDLER – Es geht um nicht weniger als den Dritten Weltkrieg

Josef Braml/Mathew Burrows, Die Traumwandler. Wie China und die USA in einen neuen Weltkrieg schlittern, C.H.Beck, München 2023 (198 Seiten)

 

Josef Braml, deutscher USA-Experte, und Mathew Burrows, ehemaliger CIA-Mitarbeiter und Außenpolitik-Experte, haben ein außerordentlich wichtiges Buch zu der krisenhaften internationalen Situation und denkbaren zukünftigen Entwicklungen vorgelegt. Angesichts der ungeheuerlichen Gefahr eines Dritten Weltkrieges verstehen sie ihren Text als „Weckruf“ (13), als „Politikberatung“ (15) und widmen es „den Friedensstiftern dieser Welt“.

Der Titel spielt an auf Christopher Clarks Buch „Die Schlafwandler“ (2012/13), in dem – revisionistisch – das Rad der Geschichtswissenschaft zurückgedreht wurde und die seit der Fischer-Kontroverse der sechziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts dominierende These von der Hauptschuld des Deutschen Reiches für den Ausbruch des 1. Weltkrieges zurückgenommen wurde und die Schuldfrage im großen Wasser unübersehbarer historischer Vorgänge und mit bestem Willen beseelter Politiker versenkt wurde. Alle damaligen Großmächte trugen gleichermaßen durch ihr Verhalten für den Ausbruch des 1. Weltkrieges Verantwortung, so Clarks These. Das war auch die Überzeugung der Geschichtswissenschaft in der düsteren Adenauer-Ära, und es beruhigte die deutsche konservative Seele auch in der jüngeren Zeit, trug man mit Clarks These doch nicht an allen Schandtaten des 20. Jahrhunderts die Verantwortung, mehr noch: mit der Verrauchung der Verantwortung für die „Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts“ (Kennan) war man gleich auch noch ein wenig Eigenverantwortung, wenn auch klitzeklein, für den Aufstieg des Nationalsozialismus los.

Braml/Burrows erörtern in ihrem Buch die Gefahr eines neuen Weltkriegs mit den Hauptbeteiligten China und USA, die, so die Autoren, wie die Großmächte vor dem 1. Weltkrieg in einen neuen Krieg hineintaumeln. Vorweggenommen sei: Das ist schon im Ansatz, der sich bei den Autoren auf die Zukunft richtet, genauso fragwürdig, wie Clarks These zur Vergangenheit. Es gibt immer Haupttreiber, berechtigte und unberechtigte Interessen, Möglichkeiten der Verantwortungszuordnung usw. usf.

Die Struktur des Buches wird durch drei Szenarien vorgegeben. 1.) „Das schlechte Szenario – Die neue Bipolarität ist bereits da“, 2.) „Das hässliche Szenario – Ein Dritter Weltkrieg“, 3.) „Das gute Szenario – Katalysatoren für eine Kooperation“. Das abschließende vierte Kapital trägt die Überschrift „Wie ein Dritter Weltkrieg vermieden werden kann“. Genaugenommen ist das erste Szenario, wie schon in der Überschrift anklingt, kein Szenario, sondern die Beschreibung der Gegenwart, also der Ausgangspunkt für die beiden anderen Szenarien.

 

Kapitel 1

„Das schlechte Szenario – Die neue Bipolarität ist bereits da“

Für die Autoren steht fest, dass es bereits zu einem neuen Kalten Krieg gekommen ist, ein Kalter Krieg, der im Wesentlichen von einem durch die USA angezettelten Wirtschaftskrieg gegen China besteht, der von Biden mit dem Ziel geführt werde, „den Aufstieg Chinas zu stoppen“ (28). Ausführlich widmen sie sich in diesem Zusammenhang dem „CHIPS Act“. Lagerübergreifend habe man in den USA einen „verächtlichen Ton“ (29) gegenüber China angeschlagen, es gehe einzig darum, China zu „verprügeln“ (31). Fälschlicherweise laste man China den Verlust industrieller Arbeitsplätze an (33), habe den Multilateralismus und seine Institutionen in Misskredit gebracht, strebe eine Entkopplung an und befürworte das „Friend-Shoring“ (36ff.), verprelle dabei seine Verbündeten in der EU (z.B. durch die Blockade des Investitionsabkommens zwischen der EU und China, 52f.) und in Asien. Den USA unterliefen dabei weitere Fehleinschätzungen, z.B. dass der technologische Vorsprung gehalten werden könne und dass Taiwan „als Teil der ‚westlichen‘ Domäne“ (51) beansprucht wird. Gegenüber dem Globalen Süden habe sich der Westen „unaufmerksam und nachlässig“ (58) erwiesen. China demgegenüber zeige nur „defensive Aggressivität“ (58ff.), hege keine „territorialen Ambitionen“ (60), abgesehen von Taiwan, die Rhetorik von der „chinesischen Übernahme der Weltherrschaft“ sei „übertrieben“ (ebd.). Etwas wunderlich nehmen sich die Ausführungen zu den „zwei verwundeten Riesen“ (64ff.) an; gemeint sind dabei die USA und China. Beide befänden sich im „abwärts gerichteten ‚Power Cycle‘“ (65). Weder finden sich wirklich belastbare Anzeichen dafür, dass sich die USA weltpolitisch auf dem absteigenden Ast befinden, wie allenthalben behauptet wird, noch trifft dies für China in seinen weltpolitischen Ambitionen zu.

Das Kapitel endet mit der Feststellung, dass weder Xi noch Biden einen Krieg wollten (66). Aufgegriffen ist damit die Zentralthese des Buches vom möglichen schlafwandlerischen Hineinschlittern in den Dritten Weltkrieg. „Auch vor dem Ersten Weltkrieg wollte niemand einen Krieg. Aber er geschah trotzdem“ (ebd.). Die ganze Fragwürdigkeit vom ungewollten Krieg tritt hier zutage – sowohl bezogen auf den chinesisch-amerikanischen Konflikt als auch bezogen auf den Ersten Weltkrieg. Um bei ersterem zu bleiben: Beide Akteure ziehen in ihren Positionsmarkierungen selbstredend die Möglichkeit des Krieges mit ein, wenn sie zum nächsten Schritt ausholen. Die Chinesen, wenn sie Taiwan ein Ultimatum für die Wiedervereinigung stellen, die USA, wenn sie Taiwan als souveränen Staat anerkennen, also die Ein-China-Politik offiziell suspendieren, und sich als Schutzmacht Taiwans deklarieren.

 

Kapitel 2

„Das hässliche Szenario – Ein Dritter Weltkrieg

Kapitel 2 (vom Titel des Buches her gedacht das zentrale Kapitel) beginnt – angelehnt an Stephen S. Roach[1] – zunächst mit dem Bezug auf eine noch abstrusere These als die Traumwandler-Schlafwandler-These, dass nämlich die gegenwärtige Konfliktkonstellation mit den Großmächten Amerika, China und Russland eine zufällige sei, die nur eines Funkens bedürfe, um in einem großen Krieg zu enden – und darin der Konstellation vom Juli 1914 ähnele. Es geht weiter mit einem der amerikanischen Scharfmacher, Eldrige Colby, der die „Notwendigkeit eines Krieges mit China“ (69) predigt. Die Ausführungen kulminieren in der Feststellung, dass der amtierende US-Präsident Biden „offen einen Krieg mit einem nuklearen China ins Auge gefasst“ (70) hat. Die neuerweckten Atlantiker in Deutschland werden, wenn sie das lesen, aus dem Schlucken nicht mehr herauskommen.

Biden habe sich mit seiner Aussage, Truppen zu entsenden, falls China eine Invasion in Taiwan vornehme, in eine „Falle“ (78) und „gefährliche Gewässer“ (88) manövriert, da er die Vorteile „strategischer Ambiguität“ (86) aufgegeben habe. „Wie würde ein Krieg um Taiwan aussehen?“, fragen die Autoren. Diverse Autoren und Thinktanks, die „Kriegsspiele“ (82ff.) durchspielen, zitierend, ergibt sich die Quintessenz: Vor Ende des Jahrzehnts sei eine militärische Auseinandersetzung unwahrscheinlich, entscheidend sei die zukünftige Innenpolitik Taiwans, die psychologische Kriegsführung Chinas setze sich fort, eine Invasion Taiwans könnte im Süden der Insel stecken bleiben, gewinnen könnte die eine wie die andere Seite. Anders als eine Unterüberschrift ankündigt – „Ein Dritter Weltkrieg“ (85ff.) – bleiben die Ausführungen zu einer Ausweitung des Krieges dünn, vage, kaum argumentativ greifbar.

 

Kapitel 3

Das gute Szenario – Katalysatoren für eine Kooperation

Einer der Katalysatoren scheint den Autoren die Demographie zu sein. „Die Waage hat sich zu Gunsten der Arbeitnehmer verschoben“ (91), was die westlichen Länder und ihre Führungen zu einem „neuen großzügigeren Gesellschaftsvertrag“ und mehr Einwanderung zwinge. China nehme Marktreformen und Privatisierungen vor, so ein weiterer Katalysator, was zu einer „reformierten WTO“ (93) führen könnte. Mit einer „gehörigen Portion Glück“ ließen sich die chinesisch-amerikanischen Spannungen abbauen, Taiwan verzichte auf weitere Unabhängigkeitsbestrebungen, Europa festige sich im westlichen Bündnis, Russland würde bestraft und demokratisiere sich. Und der Westen widme sich mehr dem Globalen Süden. – Für all diese Katalysatoren gäbe es „schwache Signale“ (94), die einen kalten oder heißen Krieg vermeiden würden. All das hört sich indessen eher wie ein Wunschkonzert an.

Die Ausführungen zum Russland-Ukraine-Krieg gehen von der Überzeugung aus, dass „Russland aus dem Krieg gegen die Ukraine so gut wie sicher (Herv.d.Verf.) als wirtschaftlich und diplomatisch geschwächte Macht hervorgehen wird“ (95). Es folgen allerlei voluntaristische Überlegungen, die sich von der Vorstellung leiten lassen, dass die USA einen „Keil zwischen Russland und China“ (96) treiben sollten, was so weit geht, dass sie ein Plädoyer für die „legitimen Interessen Chinas“ (97) halten, widersprechen sich dann aber ein paar Zeilen weiter: „Die Tatsache, dass wir keine legitimen Interessen anerkennen können…“ (ebd.). Weitere Katalysatoren für die Kooperation seien die in Umfragen deutlich werdende Priorisierung der Klimapolitik der jungen Generation, die Tatsache, dass alternde Gesellschaften weniger militaristisch seien, und der Neustart für die Globalisierung und eine reformierte WTO vielversprechend sei. Der Klimawandel sollte die oberste Priorität erhalten.

 

Kapitel 4

„Wie ein Dritter Weltkrieg vermieden werden kann“

Der Dritte Weltkrieg könne, so die Autoren, verhindert werden, wenn es auf drei Feldern gelinge, Fortschritte zu erzielen: dem Russland-Ukraine-Krieg, der Klimapolitik und der weltwirtschaftlichen Zusammenarbeit.

 

1

„Russlands Krieg gegen die Ukraine entschärfen“

Um es vorwegzunehmen: Wie der Krieg entschärft werden kann, erfährt der Leser/die Leserin in diesem Kapitel nicht. In den gewunden und lavierend anmutenden Ausführungen lassen sich bestenfalls Bedingungen und Probleme für eine Entschärfung ausmachen.

Ein Friedensvertrag zu russischen Bedingungen (Abtretung der vier Provinzen in der Ostukraine und der Krim) scheint den Autoren nicht vertretbar, da es auf eine Ermutigung Russlands hinauslaufen würde (112f.). Der Krieg sei keine rein regionale Angelegenheit mehr, sondern eine globale, denn eine drohende Niederlage Russlands könnte eine Eskalation mit Atomwaffen auslösen. „Das Risiko einer nuklearen Eskalation kann nicht ausgeschlossen werden“ (113f.). Widersprüchliche Ziele seien zu verfolgen: „Putin nicht gewinnen zu lassen und den Krieg so schnell wie möglich zu beenden“ (114), eine „komplexe Aufgabe“. Die Autoren plädieren für Realismus, nicht Moral, ein deutlicher Hinweis.

Die ukrainischen Bedingungen (vollständiger Abzug der russischen Truppen, Reparationen und Bestrafung) seien zwar nachvollziehbar. Aber: „Es ist verständlich, dass die Selenskyj-Regierung harte Friedensbedingungen fordert. Es ist jedoch höchst unwahrscheinlich, dass sie erreicht werden können“ (116). Eine Schwächung Russlands bis zur Machtlosigkeit „ist verständlich, aber äußerst gefährlich“ (115). Alles scheint auf einen „eingefrorenen Konflikt“ (115), eine „Pattsituation“ (117) hinauszulaufen, darauf, dass die Ukraine nicht allein die Bedingungen für Frieden diktieren kann. Die Autoren trauen es sich aber nicht offen zu formulieren. „Welche Art von Frieden sollte der Westen anstreben?“ (118), fragen sie weiter. Es folgen die hilflosen Textbausteine aus den Talkshows: Russland darf nicht als Sieger aus dem Konflikt hervorgehen, die Ukraine muss möglichst viel Territorium zurückerlangen, und – als einzige Sicherheitsgarantie – bleibe die Ausstattung der Ukraine mit modernen Waffen. Dann formulieren die Autoren eine Jahrhundertaufgabe: „Eine stabile, wohlhabende und demokratische Ukraine wiederaufbauen“ (118), was i.W. eine europäische Aufgabe sein würde. Eine realistische, konsistente Analyse jedenfalls sieht anders aus.

Abschließend, für die Zeit danach, führen die Autoren aus: Ein dauerhafter Friede erfordere Zusammenarbeit und Dialog mit Russland, sei „unabdingbar“ (119), Entspannungspolitik, Rüstungskontrollverhandlungen, eine neue Sicherheitsstruktur für Europa im Rahmen der OSZE, Russland nicht als Erzfeind zu betrachten, die Marshallplan-Methode sollte Verwendung finden, nicht die Versailles-Methode, eine Demütigung Russlands solle nicht angestrebt werden.

 

2

„Den Klimawandel bekämpfen“

Die Autoren tragen hier eine ganze Reihe von Untersuchungsergebnissen zusammen, die alle auf dasselbe Resultat hinauslaufen: Die USA, Europa, China und der Rest der Welt unternehmen zu wenig, um den Klimawandel zu bekämpfen. Ihre zwingende Schlussfolgerung: „Wenn der Klimawandel eine beispiellose internationale Herausforderung von gigantischem Ausmaß ist, dann müssen alle Anstrengungen global sein, und wir sollten nach Möglichkeiten einer weltweiten Zusammenarbeit suchen“ (138). Zusammenarbeit ist das Schlüsselwort, das Gegenteil ist Konfrontation. Auf die Schlussfolgerung, dass der Westen seinen konfrontativen Kurs in der Taiwan- und Ukraine-Frage aufgeben müsste, kommen die Autoren aber nicht. Oder zweifeln sie an der Kausalität ihrer Aussage? Hier rächt sich, dass in der Analyse beider Fragen nicht nach den Hintergründen, Ursachen und Kontexten gesucht wurde. Und: Zurecht betonen die Autoren im Fall des Ukraine-Konflikts, dass sich die Ukraine nicht allein von eigenen Erwägungen leiten lassen darf, sondern dass es übergeordnete Dimensionen gibt. Die einzig mögliche Schlussfolgerung kann nur lauten, dass die beiden Konflikte nicht nur in einem globalen Kontext betrachtet werden müssen, sondern als der Bekämpfung des Klimawandels nach- und untergeordnet – alles unter der Voraussetzung, dass man den Klimawandel als das bedrohlichste aller Weltprobleme erachtet.

 

3

„Einen stärkeren Westen aufbauen“

(Dieser Teil ist offensichtlich hereingeschneit, was auf ein wenig sorgsames Lektorat hindeutet.)

In diesem halten die Autoren ein Plädoyer für die „internationale Ordnung nach westlichem Vorbild“ (147). Voraussetzung dafür sei aber, „die innenpolitischen Ursachen des Niedergangs der Demokratie in den westlichen Ländern anzuerkennen“ (147). Diese machen sie fest am Rückgang des Lebensstandards der Mittelschicht, wachsenden Ungleichheiten und Funktionsstörungen in der Regierung. Wirtschaftspolitisch empfehlen sie – man glaubt es kaum – deutsche Ordnungspolitik à la Eucken, von dem man erfährt, dass er „verstorben“ ist (145). Mit dem libertären Programm (Vertragsfreiheit, Privateigentum und Haftungsprinzip) und einem starken Staat als Hüter des Wettbewerbs könne den Krisenerscheinungen begegnet werden. Was „progressive Innen- und Außenpolitik“ (150) ist, erfährt man im Text nicht (Überschrift sucht Text oder umgekehrt).

 

4

„Die Weltwirtschaftsordnung stabilisieren“

Die multilaterale Ordnung im Rahmen der WTO sollte rekonstruiert werden, was den Autoren aber für die nächste Zeit „unwahrscheinlich“ (155) erscheint. Makroökonomische Ungleichgewichte sollten abgebaut werden: Deutschland sollte mehr investieren und weniger sparen, den Leistungsbilanzüberschuss abbauen, die USA umgekehrt. Die internationale Finanzordnung sollte multipolar werden, d.h. ein Ersatz für den Dollar als internationale Währung sollte gesucht werden, China arbeite schon am „Petroyuan“, den Europäern fehle es an dem Bewusstsein, den Euro zu einer internationalen Währung aufzubauen (faktisch gemeint sind Eurobonds, die werden aber nicht genannt, 163). Was der „perfekte“ Sturm für die internationale Wirtschaft wäre, wird nicht richtig klar.

 

 

„Fazit: Hoffnung auf Kooperation und ein friedliches Miteinander“

Im Fazit (167ff.) endet das Buch enttäuschend. Den beteiligten Mächten wird die „Mont Fleur-Szenario-Übung“ empfohlen, innerhalb der im südafrikanischen Konflikt 1991/92 ehedem verfeindete Akteure zusammenkamen und nicht, wie üblich, über Positionen, Interessen und deren Ausgleich redeten, sondern über die Zukunft Südafrikas, wobei die Entwicklung von Verständnis das tragende Moment war. „Warum sollte dies nicht ein Vorbild für den Westen, China, Russland und den Globalen Süden sein, sich auf Gemeinsamkeiten zu konzentrieren und ein gemeinsames Vokabular und Verständnis dafür zu entwickeln, was auf dem Spiel steht?“ (170) Ausgerechnet auf dem Gebiet der internationalen Politik, auch Geopolitik genannt, auf dem es um nichts anderes geht als Interessen, Macht und Hegemonie sollen die Führer der genannten Mächte sich in Verständnis üben. Was im Übrigen in jeder der vorherigen Konfliktstationen auch hätte geschehen können.

Statt zuzuspitzen bleiben die Autoren also auf der Ebene gruppendynamischer Übungen. Apropos Zuspitzung. 1.) Die Autoren entwickeln an diversen Stellen eine etwas versteckte Sympathie für die chinesische Position in der Taiwan-Frage. Im Fazit weisen sie zum wiederholten Male darauf hin, dass China in seiner 5000jährigen Geschichte – anders als der Westen – „nicht zu großen Eroberungszügen außerhalb seiner Region aufbrach“ (167). Warum findet sich dann in dem Büchlein an keiner Stelle die explizite Benennung, dass die USA mit ihrer Taiwan-Politik das Problem darstellen? 2.) Das Buch ist weit entfernt von der Anwendung einer vollständigen Szenario-Methode auf die internationale Politik der Zukunft. Das ist ihm nicht vorzuwerfen. Wohl aber wünschenswert wäre gewesen, sich gelegentlich auf die klare Benennung von Eintrittswahrscheinlichkeiten, Akteursbewertungen und eigene Positionierungen einzulassen. – Vielleicht gibt es einen Zusammenhang: Nur wer Politiker und ihre Beratungsstäbe nicht konsequent, d.h. zugespitzt analysiert, und ihre Bekundungen – „Alle wollen Frieden“ – für bare Münze hält, kann auf die Idee kommen, dass sie schlafwandeln, träumen, stolpern. Oder auch umgekehrt.

Bei aller Kritik: Das Buch hebt sich wohltuend ab von den in Deutschland in Mode gekommenen „wertegeleiteten“ geopolitischen Talkshow-Diskursen, die von nur Schwarzweiß kennenden Farbenblinden, Schäumenden mit Aggressionsstau und Hochmeistern der empathischen Entkontextualisierung bestritten werden. Es kennt Differenzierung, Perspektiven, nüchterne, auch unangenehme Analyse. Es vermittelt einen guten Überblick über Positionen und Literatur. Und, ein kaum zu unterschätzender Vorteil, es ist frei von Moralisierungen. Daher: Unbedingt lesenswert!

 

[1]              Stephen S. Roach, Accidental Conflict: America, China, and the Clash of False Narratives, London 2022.